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Schlaflernprogramme: Wie schläft mein Kind am besten ein?

Schreien lassen vs. Autogenes Training: Schlaflernprogramme klingen durchaus verlockend, aber auch etwas merkwürdig – Schlafen sollen Babys und Kinder wirklich „lernen“ können? Es ist nicht verwunderlich, dass viele Eltern – insbesondere diejenigen von sogenannten Schreibabys – auf die umstrittene Methode zurückzugreifen. Dies geschieht meist aus Verzweiflung oder auch aus Unwissenheit. Insbesondere der populäre Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“ sorgt seit Jahren für heftige Debatten unter der besorgten Elternschaft. Wir haben uns kritisch mit der sogenannten Ferber-Methode auseinandergesetzt und uns über unbedenklichere Alternativen informiert.

Jedes Kind kann schlafen lernen

In dem weit verbreiteten Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“ raten die Psychologin Annette Kast-Zahn und der Kinderarzt Dr. Hartmut Morgenroth zu einem Ein-und Durchschlafplan, der auf einer von dem Kinderarzt Professor Richard Ferber konzipierten Schlaflern-Methode basiert, die Kindern das selbstständige Einschlafen ohne Hilfe antrainieren soll. Das funktioniert folgendermaßen: man legt das wache Kind ohne jegliche Schlafrituale wie Wiegen oder Singen in sein Bett und verlässt das Zimmer.

Schreit das Kind, wird darauf nur in festgelegten Zeitabständen reagiert, die sich von drei bis maximal zehn Minuten steigern können. Innerhalb dieser Zeitabstände wird auf das Kind beruhigend eingeredet. Wichtig ist: diese Beschwichtigungs-Phasen sollten nicht länger als zwei Minuten dauern und es sollte möglichst wenig auf Hilfsmittel – wie Fläschchen, Schnuller geben oder gar das Herausnehmen aus dem Bett – zurückgegriffen werden.

Systematisches schreien lassen

Die Basis dieses Trainings besteht in der Vermutung, dass gerade gängige Einschlafhilfen verantwortlich für ein gestörtes Schlafverhalten des Kindes seien. Durch das permanente Reagieren der Eltern auf das Schreien des Babys, bekomme es möglicherweise den Eindruck, es werde für sein Verhalten letztlich noch durch die tröstenden Maßnahmen, wie in den Schlaf wiegen, „belohnt“. Die Ferber-Methode soll dem Kind durch das systematische schreien lassen also genau dieses auf Belohnung abzielende Schreiverhalten abgewöhnen, wodurch es das selbständige Einschlafen ohne Hilfsmittel gewissermaßen lernen muss.

Sieht die von Dr. Ferber konzipierte Ursprungsmethode des Schlafen-Lernens einen bis zu 30 Minuten dauernden Zeitrahmen für das schreien lassen vor, so betonen die Autoren von „Jedes Kind kann schlafen lernen“, dass dieser auf keinen Fall länger als zehn Minuten betragen sollte. Jedoch wird dabei möglicherweise unterschätzt, dass selbst diese verkürzten Phasen des Schreien lassens bereits schwerwiegende psychische und auch physische Folgen für das Kind nach sich ziehen können (Quelle).

Die Ferber-Methode in der Kritik

Kann es denn tatsächlich falsch sein, das Baby in den Schlaf zu wiegen? Schon rein evolutionsbedingt ist das nicht so einfach zu behaupten: der Mensch ist ein Tragling und für Babys ist es das natürlichste und vor allem sicherste am Körper der Mutter einzuschlafen (Quelle). Nach der amerikanischen Professorin Dr. Katherine Dettwyler erwarte das Kind während der ersten Lebensmonate ständige körperliche Nähe und praktisch ununterbrochenen Zugang zur Muttermilch. Das Verwehren der Möglichkeit des Kindes, jederzeit von der Brust der Mutter trinken zu können und sich ihrer Anwesenheit bewusst zu sein, widerspreche also schlichtweg der biologischen Erwartung und den Urinstinkten sowohl des Kindes als auch der Mutter.

Schreien als einziges Kommunikationsmittel

Der wahrscheinlich problematischste Aspekt der Ferber-Methode ist womöglich der des Schreien lassens. Das Schreien bildet ein unerlässliches Kommunikationsmittel zwischen dem Baby und den Eltern – und das passiert deshalb nicht einfach ohne Grund oder gar, um schlaflose Nächte zu provozieren. Allerdings muss das Plärren selbstverständlich richtig gedeutet werden:

Ich habe Hunger!
Meine Windeln sind voll!
Mir ist zu warm!
Mir ist zu kalt!
Mir tut etwas weh/ ich bin krank!
Ich bin zu aufgeregt!
Ich bin müde, kann aber nicht einschlafen!

Gerade beim letzten Punkt schreien Babys vor allem deshalb, weil sie körperliche Nähe herbeisehnen. Jedes Kind ist jedoch unterschiedlich und braucht einen anderen Grad an Nähe zu den Eltern. Manche Babys sind beispielsweise sensibler und manche eben ungeduldiger als andere. Darauf sollte man in der Erziehung und in der Erfüllung dieser unterschiedlichen Bedürfnisse achten. Ein wichtiger Stichpunkt ist hierbei auch: Intuition! Daher solltet zumindest ihr eure Geduld bewahren und euer Kind aufmerksam beobachten. Auf diese Weise lernt ihr es kennen und könnt sein Verhalten und vor allem auch extreme Schreiphasen besser interpretieren (Quelle).

Mögliche negative Folgen des „Schlafen lernens“

Welche Konsequenzen kann das Verwehren der Urinstinkte des Babys, wie Schreien und körperliche Nähe zu den Eltern, letztlich haben? Es sollte dabei vor allem bedacht werden, dass das Kind nicht das selbstständige Einschlafen lernt, so wie das die Ferber-Methode suggeriert, sondern im Endeffekt nur, dass sein Schreien von Mama und Papa ignoriert wird. Dadurch bleibt dem Kind also keine andere Wahl als irgendwann zu resignieren und letztlich in einen verzweifelten, erschöpften Schlaf zu fallen (Quelle). Das kann schwerwiegende psychische und auch physische Folgen haben (Quelle):

• das Stresshormon Cortisol, das beim Schreien ausgelöst wird, kann nachweislich das Gehirn des Babys schädigen,
• durch die traumatische Erfahrung des Alleingelassen-Werdens kann das emotionale Empfinden des Kindes gestört werden, was die Anfälligkeit für spätere psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen erhöhen kann,
• das Urvertrauen des Babys wird erschüttert, welches die Basis für eine gesunde Psyche und ein gesundes Bindungsverhalten bildet.

Das sind nur einige von den vielen Gründen, die gegen die Ferber-Methode sprechen.

Autogenes Training als sanfte Alternative

Wie kann ich mein Kind also auf natürliche und vor allem sanfte Weise in den Schlaf geleiten? Neben den bewährten Klassikern wie in den Schlaf wiegen, singen oder vorlesen, bietet das Autogene Training eine gute Möglichkeit. Hier bieten sich beispielsweise entspannende Musik oder Fantasiereisen an in Form von kurzen Geschichten. Das ruhige Erzählen beziehungsweise die Musik wird sich entspannend auf das Baby auswirken. Bei älteren Kindern wird zudem die Vorstellungskraft angeregt. Der genaue Ablauf solch eines Trainings kann hier nachgelesen werden. Die Entspannungsmethode kann dem Kind dabei helfen abzuschalten und somit den Prozess des Umschaltens von Aktivität auf Passivität begünstigen.

Wird dies als tägliches Ritual vor dem Schlafengehen praktiziert, bekommt das Kind zudem ein Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit. Das Kind merkt im besten Fall, dass es selbst in der Lage ist, seine Gedanken zu beeinflussen. Es lernt, sich gedanklich in angenehme Situationen zu versetzen und sich dabei tief zu entspannen. Gerade älteren Kindern sollten diese mentalen Reisen aufgrund ihrer Fantasie – die ja noch viel ausgeprägter ist als bei Erwachsenen – relativ leicht fallen. Weitere Vorteile dieser Entspannungsmethode: Das Selbstvertrauen des Kindes wird gestärkt und ihm wird schon früh eine wirksame Methode antrainiert, Stresssituationen zu bewältigen (Quelle).

Fazit

Selbstverständlich werden Schlaflernprogramme nicht angewandt, um seinem Kind bewusst zu schaden. Dass sich viele Eltern dafür entscheiden, liegt schlichtweg daran, dass diese Methode mitunter einen schnellen Erfolg selbst bei schwierigen Fällen herbeiführen kann. Deshalb werden nachteilige Konsequenzen von allzu verzweifelten Eltern oft und gerne unterschätzt oder auch ignoriert – die kann sich auf lange Sicht jedoch negativ aufs Kind auswirken!

Titelbild © Minnie Zhou (Unsplash)

Mark Bourichter
Mark Bourichter
Mark Bourichter ist Vater von Henri, Baujahr 2012. Er macht seit über zehn Jahren was mit Medien. Seine Arbeiten sind mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Internationalen Deutschen PR-Preis und dem Deutschen Preis für Onlinekommunikation.

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