Mit unserem Magazin Daddylicious beleuchten wir seit nun fast schon 11 Jahren insbesondere die Rolle der Papas. Aber natürlich sind wir auch im Austausch mit vielen Mamas, denn am Ende ziehen Familien ja am gleichen Strand. Ich selbst bin Patchwork-Dad, darüber habe ich schon berichtet. Kürzlich habe ich „Bonusmama“ Jule kennengelernt, die zu ihrem Patchwork-Familienmodell einen Blog und einen Podcast betreibt. Das fand ich sehr spannend, daher habe ich Jule zu einem Interview eingeladen. Grundsätzlich erkenne ich viele Parallelen. Aber manches ist dann auch ganz anders. Lest selbst.
Schon lange gehört das klassische Familienmodell Vater-Mutter-Kind der Vergangenheit an, viele Familien sind bunt durcheinandergewürfelt, insbesondere durch Trennungen, Nachzügler-Kinder oder auch gleichgeschlechtliche Eltern. Ich finde das super, solange Kinder mit viel Liebe und Zuwendung großgezogen werden. Die Familie im Patchwork ist eine besondere Herausforderung, weil es zu dem neuen Paar meist auch noch die leiblichen Mütter und Väter gibt, die in den Alltag eingebunden sind. Jule ist Patchwork-Mum und bloggt darüber auf bonusmutter.de. Darüber hinaus betreibt sie einen Podcast und bietet auch ein Coaching für Eltern an. Im Interview stellen wir euch Jule vor. In unserem Austausch haben wir viele Themen beleuchtet, die sicherlich auch euch weiterhelfen.
Interview mit Jule von bonusmutter.de
- Du heißt Jule und betreibst einen Blog und einen Podcast zum Thema „Bonusmutter“. Seit wann bist Du „Stiefmutter“, wie alt sind eure Kinder und was sollten wir noch von dir wissen?
Ich bin Jule, inzwischen 42 und seit fast 7,5 Jahren mit Marc (inzwischen 48) zusammen und damit seitdem Stiefmutter. Die Kinder waren, als ich sie kennengelernt habe, 6 und 10 Jahre alt – nun sind sie 14 und 17. Die Kinder sind anfangs im Residenzmodell zu uns gekommen, d.h. jedes zweite Wochenende war Papa-Time angesagt. Seit über 2 Jahren wohnt die Große und seit einem Jahr der Kleine Vollzeit bei uns. Die Mama wird nun jedes zweite Wochenende – sofern es die Teenagerpläne zulassen – besucht.
- Ich bin ja selbst auch Patchwork-Dad und kenne daher neben Begriffen wie Stiefvater auch noch Bonuspapa, Beutepapa oder Ersatzpapa. Warum trifft es die Bonusmutter für dich am ehesten, so dass du diesen Namen gewählt hast?
Ich habe den Begriff „Bonusmutter“ erstmals bei Jesper Juul gelesen und fand ihn erfrischend anders als der doch eher negativ geprägte Begriff der (bösen) Stiefmutter. Zudem ist der Begriff der Stiefmutter bei mir rechtlich nicht zutreffend, da der Kindsvater und ich nicht verheiratet sind.
Ich interpretiere den Begriff „Bonus“ in zweierlei Hinsicht: Bekommt man einen Bonus, dann bekommt man etwas zusätzlich. Hier im konkreten Fall: eine weitere Frau in der Mutterrolle (und dabei ist allen Bonusmüttern klar, dass wir NICHT die Mütter sind). Schlägt man im Duden den Begriff nach, findet man unter anderem folgende Bedeutung: „zum Ausgleich für eine schlechtere Ausgangsposition gewährter Punktvorteil“. Auch das finde ich sehr passend.
Und natürlich die auf der Hand liegende Übersetzung aus dem Lateinischen für bonus: gut. Denn das unterscheidet sicherlich die Bonusmütter von den bösen Stiefmüttern, dass sie grundsätzlich eher Gutes im Sinne haben. Und als dann noch die Domain www.bonusmutter.de frei war, war der Name gesetzt.
- Sicherlich warst du nicht bewusst auf der Suche nach einem Mann mit Kindern. Wie hast du damals die Info aufgenommen, dass dein Partner schon Kinder hat?
Ich war damals 35 und ab dem Alter ist man tendenziell auf dem – wie umschreibe ich es am plastischen? – „Second-Hand-Markt“ unterwegs. Es ist also nicht überraschend, wenn ein Mann in dem Stadium der Partnersuche schon mal verheiratet war oder halt Kinder hat. Da ich mir selber fast zehn Jahre lang als Babysitterin mein Taschengeld aufgebessert hatte, war es auch so, dass ich Kindern gegenüber sehr aufgeschlossen war. Daher war es für mich damals absolut fein, dass mein Partner bereits zwei Kinder hatte.
- Siehst du grundsätzlich Unterschiede in der Art und Weise, wie Bonusväter oder Bonusmütter in eine neue Familie hineinwachsen?
Die Frage ist für mich schwer zu beantworten, da ich aufgrund meiner Erfahrung (und auch von den Rückmeldungen, die ich auf dem Blog erhalte) hauptsächlich die Bonusmütter beurteilen kann. Ich vermute aber, dass aufgrund des in Deutschland oft vorherrschenden Residenzmodells die Kinder häufiger bei der Mutter leben und daher Bonusväter automatisch viel öfter in die Vollzeitrolle des „Ersatz-Elternteils“ schlüpfen. Und dass das eine ganz andere Hausnummer ist, als alle zwei Wochen ein gemeinsames Wochenende zu begleiten, ist glaub ich klar.
Weiterhin denke ich, dass häufig noch die Haupt-Care-Arbeit bei den Müttern liegt, während in vielen Fällen „die Männer das Geld ranschaffen“ – zumindest war es bei uns so. Dass die Kinder dann eine ganz andere Beziehung zur Mama haben, als zum Papa kann ich mir vorstellen. Insofern ist dann die Ersatzrolle, in die die Frauen als Bonusmutter schlüpfen, eine andere als die Ersatzrolle, in die die Bonusväter schlüpfen. Gleichwohl denke ich aber, dass Themen wie z.B. der Loyalitätskonflikt des Kindes zwischen leiblichen Elternteil und Bonus-Elternteil überall derselbe ist.
- Das Familienmodell Patchwork ist zwar bunt, aber auch nicht einfach. Denn es gibt ja auch noch den tatsächlichen Vater oder die Mutter. Was waren deine persönlichen Herausforderungen?
Ui, da gab es viele. Ich glaube die größte Herausforderung war und ist die Frage: wie fülle ich meine Rolle aus? Es gibt keine klare Definition und in jeder Patchworkfamilie, auf die man trifft, wird die Rolle, in der die Bonusmütter oder Bonusväter sind, anders interpretiert. Für mich war von vornherein klar, dass die Kinder eine Mama haben und ich definitiv nur die Partnerin an der Seite ihres Papas war und bin.
Trotzdem gab es immer wieder Punkte oder Situationen, in denen ich mir gedacht habe: „Das läuft hier aber gegen meinen Strich“ oder „das würde ich jetzt anders Hand haben (wenn es meine Kinder wären)“. Oft prallten bei uns unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinander: unterschiedliche Wertvorstellungen, die die Mutter hat, aber auch unterschiedliche Wertvorstellungen, die der eigene Partner hat.
Mein Partner hat mich ziemlich zu Beginn unserer Partnerschaft mit der Aussage „Du bist nicht erziehungsberechtigt“ auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Erst war ich gekränkt und enttäuscht; ich habe dann aber sehr schnell erkannt, dass seine Aussage inhaltlich zu 100 % zutreffend war. Ich bin nicht erziehungsberechtigt – die Kinder haben Mutter und Vater und die tragen die Verantwortung für ihre Kinder. Eigentlich eine große Entlastung für mich und so empfinde ich es heute auch. Denn es heißt nicht, dass ich nicht auch meine Meinung sagen kann oder Tipps und Ratschläge geben kann oder aber auch mal mein Veto einlege.
Das mache ich auch weiterhin, aber ich habe nicht den Anspruch, dass es zwingend umgesetzt werden muss. Zeitgleich muss ich aber auch nicht die Verantwortung für die dann getroffene Entscheidung übernehmen. Und natürlich hat die Tatsache, dass die Kinder inzwischen in unserem Haushalt leben, meine Rolle (und meine Mitspracherechte) in der Patchworkfamilie sehr gestärkt.
- Wie sieht denn bei euch die Betreuungssituation der Kinder aus? War das immer easy für sie, zwischen Mama und Papa zu wechseln?
Als wir die Kinder nur jedes zweite Wochenende hatten, war es oft so, dass man meist einen halben Tag brauchte, bis sich alle wieder akklimatisiert hatten. Gleiches galt ab Sonntagmittag, wenn es so langsam wieder hieß, Abschied zu nehmen. Aber grundsätzlich haben sie das immer alles brav mitgemacht.
Besonders bemerkenswert war aber der Umzug der Kinder zu uns. Insbesondere beim Kleinen hatte sich die Lebensrealität von „ich wohne bei Mama“ innerhalb einer Woche zu „ich wohne bei Papa“ geändert und er hat das so souverän gemeistert, dass man schon fast dachte, er hätte nur darauf gewartet. Drei Wochen nach dem Schulwechsel mitten im Schuljahr schrieb der Klassenlehrer „Ihr Sohn ist eine Bereicherung für die Klasse und wir sind alle froh, dass er da ist.“ Ich bin da immer wieder beeindruckt, wie augenscheinlich leicht die Kinder Veränderungen annehmen und oft dann nur das Positive in der neuen Situation sehen.
- Hättest Du Dir zu Beginn eurer Beziehung eine Plattform zum Thema Patchwork gewünscht, auf der du dich hättest austauschen und Rat holen können?
Ich habe die Kinder direkt zu Beginn der Beziehung kennengelernt. Damals habe ich alles durch die rosa-farbene Brille gesehen und alles war einfach nur toll. Ganz zu Anfang war auch die Beziehung zur Kindsmutter einfach, was sich leider im Laufe der Jahre geändert hat. Nach ca. zwei Jahren war ich an einem Punkt, wo ich dringend eine Austauschplattform gebraucht hätte. Denn das kann man sicherlich sagen: Patchwork ist die Champions League unter den Beziehungsformen.
Jedoch waren mir die existierenden Plattformen im Internet größtenteils leider zu wenig konstruktiv – schließlich ging es mir nicht darum, Kinder- oder Kindsmutter-Bashing zu betreiben, sondern Lösungen oder Ratschläge zu finden, wie man mit gewissen Situationen besser umgehen kann. Denn die Entscheidung, dass ich mit meinem Partner zusammenbleiben wollte, war bei mir ziemlich früh gefallen. Daher ging es für mich darum: Wie kann ich/ können wir besser mit Situationen umgehen? Welche Tricks und Kniffe gibt es vielleicht, die das Leben einfacher machen? Oder wie kann ich meine eigene Einstellung zu einem Punkt ändern und so die Situation für mich entschärfen?
- Was hat dich dazu motiviert, den Blog und einen Podcast zu starten?
Mitten in Corona bin ich dann mit dem Blog an den Start gegangen und habe anfangs nur meine Gedanken in Blogartikel gepackt. Zum Glück kam schnell positives Feedback, dass sich andere Frauen von meinen Worten verstanden fühlten und ich habe immer fleißig weitergeschrieben – frei nach dem Motto „wenn es nur einer Person was bringt, war es keine vergeudete Zeit.“ Und wenn nur ich diese Person bin – so what?
Wann genau der beliebte Mecker-Mittwoch und der Super-Sunday auf Instagram gekommen sind, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Im August 2021 ging dann der Podcast an den Start, der sich immer größerer Beliebtheit erfreut, da die Geschichten vieler verschiedener Patchworkfamilien erzählt werden. Oft erhalte ich das Feedback „genau wie bei uns“ oder „ach herrje, da ist es bei uns ja noch harmlos“, was vielen Zuhörern das Gefühl gibt, nicht alleine zu stehen mit ihren Sorgen, Gedanken und Gefühlen.
Mir folgen auch einige Partner der Bonusmütter. Hier ist meistens die Rückmeldung, dass es für sie wirklich interessant ist, zu sehen, welche Fragestellungen sich für uns Frauen in gewissen Situationen ergeben und wie manche Situationen auf uns wirken. In Summe hilft es auf jeden Fall für ein gegenseitiges Verständnis.
- Du bist auch zertifizierte Paartherapeutin und hilfst insbesondere Patchwork-Familien. Siehst Du da die Initiative bei den Mamas oder kommen auch Väter zu Dir? Und wie kannst du dann helfen?
Ich muss tatsächlich sagen, dass ich bisher ausschließlich Anfragen von Frauen erhalten habe – was natürlich auch einfach dem Namen des Blogs geschuldet ist. Eine Umfrage hat einmal ergeben, dass 98% meiner Leserinnen Frauen sind, 2% entsprechend Männer. Und ich glaube, dass Frauen öfter nach Hilfe fragen und sich in den Austausch begeben, damit es ihnen besser geht, als Männer das tun. Aber auch Männer sind natürlich herzlich willkommen, sich an mich zu wenden.
Oft hilft in allen Fällen erstmal einmal das „Erzählen können“, was das Problem ist und das Wissen, dass das Gegenüber die Situation versteht. Wenn man keine Patchworkerfahrungen hat, kann man nur schwer nachvollziehen, was in einer Bonusmutter oder einem Bonusvater oder aber auch dem leiblichen Vater oder der leiblichen Mutter vor sich geht. Häufig sind es auch Gedanken, für die man sich schämt, sie zu haben. In einem zweiten Schritt können wir dann schauen, in welche Richtung man sich entwickeln möchte: Also was soll am Ende des Tages idealerweise herauskommen? Hier können wir ansetzen und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten.
Im Rahmen der Paartherapie sitzt dann der Partner mit am Tisch, was meist dann noch mal einen Turbo in der Entwicklung der Patchworkfamilie bedeutet.
- Aktuell bist du selbst schwanger, ihr bekommt noch ein gemeinsames Kind. Da ist die Vorfreude sicherlich bei allen riesig. Oder rechnest Du mit Spannungen, gerade auch mit den Kindern deines Partners?
Das ist eine sehr gute Frage, bei der ich wünschte, selber in die Glaskugel gucken zu können. Obwohl es oft ja auch besser ist, nicht zu wissen, was einen erwartet…
Beide Kinder haben die Neuigkeit, dass Nachwuchs ansteht, sehr positiv aufgenommen – womit wir beide nicht gerechnet hätten. Ich denke aber, dass es sicherlich viele neue Herausforderungen für uns geben wird – genauso wie es für jedes Paar, das erstmalig ein Kind erwartet, riesige Herausforderungen gibt. Ich bin jedoch sehr dankbar, dass ich einen Partner an meiner Seite habe, der schon zwei Kinder erfolgreich großgezogen hat, was mich insoweit etwas entspannter in die Zukunft blicken lässt. Und die Herausforderungen, die es für unsere Patchworkfamilie dann gibt, werden wir sicherlich auch irgendwie wuppen und genauso daran wachsen, wie wir es in der Vergangenheit getan haben.
Hier findet ihr den Link zu einer recht spannenden Podcast-Folge für einen ersten Eindruck:
Podcast-Folge Empfehlung: BM#20 – Jule mit Tina über das Gerichtsverfahren:
Liebe Jule, vielen Dank für die persönlichen und offenen Antworten. Zumindest scheint es nie langweilig zu werden. Und nun beginnt ja ein weiterer sehr spannender Abschnitt für euch. Wir werden verfolgen, wie es weitergeht.