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Gastbeitrag: Wie aus der Trauer ein Buch entstand

Unser heutiger Gastautor Nils Teiwes, Papa von zwei Kindern, hat es mit Trauer zu tun bekommen und dabei auch seine Kinder begleitet und beobachtet. Und so hat der Blogger und Podcaster seine Erfahrungen in einem lesenswerten Buch für die Eltern zusammengeschrieben, die mit ihren Kindern auch einen Trauerfall zu bewältigen haben. Hier ist sein Gastbeitrag.

„Blumen?“ Diese einfache und kindgerechte Einwortfrage unserer damals zweijährigen Tochter brachte mich am Morgen des 13.03.2020 zum Weinen. Und jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, auch. Diese Situation sollte der Anfang für mein letztes Jahr erschienenes Buch „OMA CHRISTA“ werden. Das wusste ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht. Wie es dazu kam?

Meine Oma war im Februar 2020 kurz nach ihrem 92. Geburtstag gestorben. Ich konnte mich nachmittags noch im Krankenhaus von ihr verabschieden, ehe sie später am Abend für immer einschlief. Auch wenn sie vermeintlich nicht mehr die Person war, die ich 37 Jahre lang kannte, bin ich froh, dass ich da war.

Am Tag der Beisetzung habe ich im Blumenladen einzelne Blumen gekauft, die wir ihr als Gruß mit auf die letzte Reise geben wollten. Auf dem Weg zum 30 Minuten entfernten Friedhof in Lesum/Bremen habe ich viel nachgedacht, mich an besondere Momente und Geschichten mit meiner Oma Christa erinnert. Die vielen Besuche und Familienfeiern. Telefonate. All das sollte auf einmal nicht mehr da sein? Das überstieg meine Vorstellungskraft und tut es heute auch noch.

Aber, ich war ja nicht alleine. Meine Freundin und unsere Tochter waren an meiner Seite und die beinahe größere Sorge war, dass unsere Tochter auf der Fahrt dorthin schläft, damit sie während der Trauerfeier nicht quengelt.

Hat sie auch nicht. Selbst wenn, meine Oma hätte es nicht gestört. Sie hat ihre 12 x Enkel und 23 x Urenkel geliebt und war Trubel gewohnt. Sie kannte sogar alle Geburtstage auswendig. Bevor sie ins Krankenhaus ging, hatte sie noch einen Schwung Geburtstagskarten für die Märzgeburtstagskinder für den Versand vorbereitet und zurechtgelegt – nur leider konnte sie sie nicht mehr abschicken.

Ich erinnere mich noch genau an die angespannte Stille als wir in die Kapelle kamen. Ich war nervös. Die meisten Trauergäste waren schon da. Überall schniefte und schnäuzte es, Taschentücherpackungen raschelten, es wurde sich zugenickt. Wir setzen uns hinter meine Eltern und meine Tante in eine Bank zu meinem älteren Bruder. Dort saßen wir und schnieften eine Weile betreten vor uns hin, hielten unsere Tochter mit Snacks bei Laune, als über die Lautsprecher James Lasts „Morning at Seven“ ertönte. Ein Lieblingslied meiner Oma.

Die Pfarrerin wählte schöne Worte, ließ das lange Leben unserer Oma Revue passieren, führte Anekdoten zu ihr und ihren vier eigenen Kindern an, die auch uns ein Lächeln ins Gesicht zauberten und die Trauer für einen Moment durchbrach. So wie die beiden musikalischen Einlagen meiner Cousinen und deren Kinder. Musikeinlagen hatten auch auf vergangenen „Feiern“ immer für Abwechslung gesorgt.
Zu ihrem 90. Geburtstag wurde zum Beispiel „Veronika der Lenz ist da“ umgetextet und in einer auf sie zugeschnittenen Version vorgetragen. Musikalisch begleitet von der Familienband.

oma christa kinderbuch trauer

Ich will jetzt nicht sagen, das lief an dem Tag alles wie im Film ab, doch genau so war es. Ein schöner Film mit traurigem Anlass. Mit James Lasts „Biscaya“ wurde der Sarg meiner Oma aus der Kapelle geführt und zu Grabstelle. Wir nahmen nacheinander mit unseren Blumen und stillen letzten Grüßen Abschied. Ich höre meine Tochter noch verwundert nach ihrer Blume fragen. Nach der Beisetzung fuhren wir in die Gaststätte, in der wir auch den 90. Geburtstag gefeiert hatten. Paradox.

Mein Vater hat dort als neuer Familienältester eine kleine Rede gehalten. Danach gab’s Suppe mit anschließender Kaffeetafel. Die Stimmung war gelassen, es wurden viele Gespräche geführt, insbesondere mit Verwandten die man schon länger nicht gesehen hatte. Es war ein kalter, aber sonniger Tag und es wirkte so, als sei meine Oma die ganze Zeit dabei gewesen und sie würde jeden Augenblick in den Saal gelaufen kommen.

Kam sie aber nicht. Sie würde nie wieder um die Ecke gelaufen kommen. Nicht mehr anrufen. Nicht mehr schreiben. Kein Austausch über die Cousinen und Cousins und die Urenkelkinder. So richtig wurde mir das erst Tage und Wochen später bewusst. Früher waren wir als Kinder fast jedes Wochenende zu Besuch in Bremen, aber je älter man wurde, desto weniger wurden zuletzt auch die Besuche. Ich bin vor sechs Jahren sogar nach Bremen gezogen und wohnte nur 25km entfernt (Bremen ist zwar sehr schmal, dafür aber sehr lang) – häufiger wurden die Besuche aber trotzdem nicht.

Für „hätte ich mal“ war es jetzt zu spät. „Ihr habt auch Euer eigenes Leben“ hat sie dann manchmal gesagt. Ja, das stimmt, aber sie hat ja früher auch Lebenszeit für uns aufgewendet, denke ich.

Ein paar Tage nach der Beisetzung hat uns dann der erste Corona bedingte Lockdown erwischt. Die Kita wurde geschlossen, mein Arbeitgeber hat uns fast alle ins Homeoffice geschickt und auf einmal saß ich da am Behelfsschreibtisch im Schlafzimmer in unserer 3-Zimmerwohnung. Zuerst noch 8h täglich inklusive Kinderbetreuung und Krankenhausschichtdienst meiner systemrelevanten Freundin. Mein Job im Bereich Live-Entertainment war nur Ticketingsystem relevant. Bedeutete für mich dann ab 01.04.20 Kurzarbeit und Gehaltskürzungen. Die Veranstaltungsbranche war eine der ersten, die von dem Lockdown und den Corona-Einschränkungen betroffen war und heute auch immer noch ist.

oma christa nils teiwes

Zum Verlust meiner Oma gesellten sich dann auch noch Sorgen um den Job. Wie lange würde das Unternehmen das aushalten? Wird es Kündigungen geben? Ist Corona nur eine Grippe? Soll ich noch mehr Nudeln und Klopapier kaufen? Darf man spazieren gehen? All das ließ mir in der ersten Phase keine Zeit richtig zu trauern bzw. darüber nachzudenken, was eigentlich passiert ist.

Vor allen Dingen musste ich an unsere Tochter denken. Wie hat sie die Beisetzung erlebt? Wird sie sich später erinnern können? War es gut dass sie mit dabei war? Ich machte mir immer mal wieder Notizen im Handy, schrieb es später ausführlicher aus – meistens abends, wenn meine Freundin Spät- oder Nachtdienst im Krankenhaus hatte. Ich mache vieles immer erst mit mir selbst aus. Dabei schossen mir witzige Situationen, besondere Momente oder „Familien-Klassiker“, die man sich immer wieder erzählt hat, in den Kopf, und versuchte sie thematisch in den Plot einzubauen.

Dazu habe ich dann kindliche Strichmännchenzeichungen gemacht und durch den Tipp eines Freundes über ein Self-Publishing-Portal ein Buchprojekt gestartet und es nach ein paar Monaten auch veröffentlicht.

Quasi als ein (Zwischen-)Ergebnis meiner Trauerarbeit. Zuerst nur als Erinnerung für meine Tochter, die gar nicht genügend Zeit hatte ihre Ur-Oma mit all ihren Facetten kennenzulernen. Natürlich auch für die Familie, für mich und nicht zuletzt für meine Oma, die immer noch fehlt.

Die Trauer wird wohl nie so ganz verschwinden und ist nach meinem Empfinden heutzutage oft noch ein vermeintlich zu ernstes oder teilweise auch Tabu-Thema, da sich viele möglicherweise nicht „schwach und verletzlich“ zeigen wollen und das Gegenüber nicht weiß, wie es sich „richtig“ verhalten und was es sagen soll. Man muss auch nicht immer etwas sagen. Manchmal reicht eine Umarmung, eine Hand zum Festhalten oder ein Nicken. Überwindung ist hier glaube ich das Zauberwort.

Mir hat mein „Trauerarbeitsprojekt“ auf jeden Fall bei der Trauerbewältigung geholfen. Ich hole es hervor, blättere drin herum und erinnere mich gerne an die vielen schönen Dinge, die ich mit meiner Oma erlebt habe. Auch an welche, die ich (noch) nicht aufgeschrieben habe.

Oma Christa
  • Nils Teiwes (Autor)

Wer mehr über Trauer und den Umgang mit Sterben und Tod erfahren möchte, der sollte unbedingt mal auf sarggeschichten.de vorbeischauen. Dort findet man u. a. kurze themenbezogene Filme – für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Ein Tolles und unterstützungswertes Projekt, wie ich finde, auf das ich aber erst nach Fertigstellung meines Buchs gestoßen bin.

Lieber Nils, vielen Dank für deine sehr persönliche Geschichte. Bestimmt hilft dein Buch auch anderen Menschen bei der Bewältigung ihrer Trauer.

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Nils Teiwes
Nils Teiweshttps://dermeckerling.com/
Nils Teiwes, Jahrgang 1983, aus Bremen. Er ist Papa zweier Töchter (3,5 und 2 Monate), 10-facher Onkel und arbeitet als Order Management Specialist im Bereich Ticketing & Live-Entertainment. Betreibt seit 2013 einen Blog, mischt seit November 2019 im Podcastgame mit „KATZENGOLD. BREMENS MEISTER PODCAST" und hat im Mai 2020 ein Buch zum Thema Trauer veröffentlicht. War schon ehrenamtlicher „Finanzvorstand“ im Elternverein, geht gerne ins Fußballstadion, auf Konzerte, auf ein Bierchen in den Pub, kickt in einer Ü32-Truppe, läuft - wenn er fit ist - gerne mal einen Halbmarathon und probiert sich demnächst wieder mit eigenen Texten auf Open-Mic-Stages.

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