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KolumnenGastbeiträgeUp and Away – Zwei Jahre Elternzeit zwischen Kanada und Südostasien

Up and Away – Zwei Jahre Elternzeit zwischen Kanada und Südostasien

Ein Gastbeitrag von Sebastian Pitschner-Finn

Papa Sebastian ist mit seiner Familie auf Weltreise – schon wieder. Denn natürlich können auch Männer (und Frauen) in Führungspositionen eine Elternzeit nehmen, die über die „Vätermonate“ hinausgeht. Und das Ergebnis ist ein glücklicher, gesunder Vater, der zudem viel Wertvolles gelernt hat. Über seine Familie, über das Reifenwechseln, über die Aufgaben eines Lehrers und vieles mehr. Darüber berichtet er in den sozialen Medien als „papi.lernt.fliegen“. Und für uns hat er exklusiv einen tollen Text verfasst, während er wahrscheinlich irgendwo in wärmeren Gefilden an einem Strand bei schlechtem WLAN den Sonnenuntergang genießt.

Wenn ihr an der Reise von Sebastian teilhaben wollt, dann folgt ihm gern auf Instagram, Facebook oder youTube. Hier ist sein Bericht.

Nicht alle Menschen verstehen mich, und einige kritisieren sogar, ich könne mich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden. Muss ich das? Zweifelsohne sind Biografien von Vätern in Führungspositionen, die sich für lange Elternzeiten entscheiden, noch immer sehr, sehr selten. Daher ist der eine oder andere Gesprächspartner vielleicht einfach etwas überrascht oder überfordert, wenn ich ihm von meinen Jobs und meinen Reisen in der Elternzeit erzähle. Tatsächlich kommt es sogar vor, dass andere Väter oder Mütter ungläubig staunen, wenn ich ihnen erkläre, wie viele Jahre Elternzeit tatsächlich auch Vätern rechtlich zustehen, und dass diese Elternzeit nicht nur bis zum ersten Geburtstag eines Kindes in Anspruch genommen werden kann.

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Natürlich habe ich auch etwas Zeit gebraucht, um mich mit den gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit vertraut zu machen und mit mir selbst zu vereinbaren, wie ich mit meinen Arbeitgebern umgehen wollte. Die grundsätzliche Entscheidung, insgesamt zwei Jahre Elternzeit zu nehmen, stand für mich aber nie wirklich zur Disposition. Dafür ist mir die Zeit mit meinen drei wunderbaren Kindern (mittlerweile 8-jährige Zwillinge und ein dreijähriges Mädchen) und meiner tollen Frau einfach zu wichtig und wertvoll. Mir ist es leider auch nie richtig gelungen, den Berufsalltag mit der Familie in ein Gleichgewicht zu bringen. Wenn ich Vollzeit gearbeitet habe – bei einer reduzierten Stelle wäre es aber vermutlich genauso gewesen – war ich immer voll auf den Job fokussiert und habe Arbeitsstress und -sorgen mit nach Hause gebracht, sodass zu wenig Zeit und Aufmerksamkeit für die Familie übrigblieb. Trotzdem habe ich nie grundsätzlich mit meinen Jobs gehadert. Ganz im Gegenteil, ich wollte anspruchsvolle Führungspositionen, aber ich wollte auch Familie.

Und dann ist da noch die Abenteuer- und Reiselust, die ich offensichtlich schon lange in mir trage und mit meiner Frau teile. Ich will immer etwas Neues erleben und mein Wissen erweitern. Das gilt nicht nur für den Beruf, sondern auch für die Freizeit. Medien reichen mir oft nicht, ich will selbst erleben, mit eigenen Augen sehen, wie Dinge wirklich sind. Und so saß ich eines Tages, Anfang 2018 alleine mit meiner Frau in einem kleinen Bahnhofskino in Bochum und schaute mir mit großer Begeisterung den Film „Weit“ über die Weltreise einer Familie an. Wenige Tage späte saß ich wieder mit meiner Frau zusammen, dieses Mal auf dem Sofa unserer Doppelhaushälfte in Hamburg – die Kinder waren alle im Bett – und wir unterhielten uns über den Film, der bei uns beiden einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Irgendwann sagte ich dann zu ihr: „Lass es uns doch einfach auch machen“. Und zu meiner Überraschung antwortete sie ohne langes Überlegen mit „ok“. Irgendwie hatte ich das nicht erwartet und schaute sie ungläubig ein. Aber wir begannen tatsächlich schon wenige Tage später mit der Planung unserer ersten eigenen Weltreise.

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Etwas mehr als ein Jahr später, im Sommer 2019, ging es dann los, und wir reisten von den Rocky Mountains in Kanada Stück für Stück immer weiter nach Süden entlang der Westküste des amerikanischen Kontinents – mal mit dem Bus oder einem Mietwagen, mal mit dem Zug und hin und wieder mit dem Flugzeug. Kurz vor Feuerland überquerten wir den Kontinent nach Buenos Aires und flogen auf die andere Seite der Welt nach Neuseeland. Nachdem wir das Land einige Wochen mit einem Wohnmobil erkundet hatten, horchten wir überrascht auf, als wir bei anderen Campern die Nachrichten über einen „seltsamen“ Virus hörten, der sich gerade in Europa ausbreitete. In den nächsten Tagen häuften sich die Nachrichten und auch die Ankündigungen, dass der Flugverkehr wohl bald eingeschränkt werden würde.

Nach einer schlaflosen Nacht entschieden wir uns aber trotzdem für die Weiterflug auf die Fiji Inseln. Kaum im Paradies angekommen trat dort leider schon am nächsten Tag der erste COVID-Fall auf und die Insel wurde abgeriegelt. Alle Versuche, mit Linienflügen nach Hause zu kommen, scheiterten leider, und so begannen einige anstrengende Wochen des Hoffens und Bangens, bis wir mit Hilfe eines abenteuerlichen Rettungsflugs der Bundesregierung schließlich doch noch nach Hause kamen.

Wir waren zwar sehr glücklich über die Rettung, aber irgendwie fühlte sich unsere Reise unvollendet an, und wir wollten noch so viele andere spannende Länder kennenlernen. Außerdem ging es mir mit einem neuen aufreibenden Job gesundheitlich immer schlechter und ich fühlte, dass ich mal auf die Bremse treten musste. Daher dauerte es nicht lange, bis wir begannen, über eine zweite große Reise nachzudenken. Und nun schreibe ich diesen Artikel auf der kleinen Seychellen-Insel Praslin. Hier verbringen wir noch einige Tage, ehe es über Dubai weiter geht nach Südindien und danach wahrscheinlich in einige südostasiatische Länder wie Laos, Kambodscha, Thailand und Malaysia. Einen genauen Reiseplan haben wir noch nicht.

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Die „Planlosigkeit“ ist eine Herausforderung und ein Gewinn zugleich. Denn eine Low Budget Weltreise ist nicht mit einem Urlaub zu vergleichen, in dem alles vorab organisiert ist und man sich einfach fallenlassen kann. Eine Weltreise ist in gewisser Weise Alltag. Jeden Tag sind ganz banale (und oft nervige) Dinge zu erledigen: die wenige Kleidung muss gewaschen werden, es muss eingekauft werden, Routen müssen recherchiert und Visa beantragt werden. Und wir Eltern müssen unterrichten. Denn unsere 8-jährigen Zwillinge wurden für das dritte Schuljahr von der Schulpflicht befreit. Wir müssen den wesentlichen Stoff des Schuljahres aber während der Reise behandeln, damit die Jungs – wenn alles klappt – nach der Reise direkt in die vierte Klasse zu ihren Freunden und Freundinnen können. Für mich sind die Aufgaben, die ich als Vater in einer Elternzeit und auf einer Weltreise lösen muss, mitunter viel schwieriger und unbekannter als im Berufsleben.

Während die Arbeitsaufgaben im Job oft eine ähnliche Struktur haben und meist mit bekannten Methoden gelöst werden, komme ich auf der Weltreise mit Meetings, Excel und PowerPoint nicht besonders weit. Ich weiß nie, was mich im nächsten Land und in der nächsten Stadt erwartet. Oft kann ich mich mur mit sprachlichen Bruchstücken, Händen und Füßen verständigen, und die örtlichen Gegebenheiten und Kulturen sind nicht mit denen in Europa vergleichbar. Ich erinnere mich noch gut an eine Unterkunft in Chile, die nur über einen Tank mit Wasser versorgt wurde. Am ersten Abend stellten wir fest, dass dieser Tank leer war. Wie kriegt man nun mit 5 Wörtern Spanisch am Samstagabend neues Wasser in seinen Tank gepumpt, sodass man die Toilette am Wochenende benutzen kann? Ich habe „einfach“ den nächsten Nachbarn angesprochen und mein Problem pantomimisch dargestellt. Zum Glück bin ich scheinbar so begabt, dass er am Telefon sehr engagiert versuchte, nach Feierabend einen Tankwagen zu organisieren – mit Erfolg.

Als wir vor einigen Wochen mit einem Geländewagen durch Südafrika und Namibia gefahren sind, hatten wir drei Reifenpannen in vier Tagen. Obwohl ich eigentlich davon ausgehen musste, dass wir auf den teilweise abenteuerlichen Schotter- und Sandpisten mal eine Panne haben würden, hatte ich gehofft, dass wir, wie durch ein Wunder, davon verschont bleiben könnten. Das Wunder ist nicht eingetreten, und so stand ich mit zerfetztem Reifen irgendwo auf einer Wüstenstrecke in Namibia und hoffte, dass ein anderes Auto vorbeikommen, anhalten und uns helfen würde. Denn leider entspreche ich nicht dem schrägen Rollenbild, nach dem Männer grundsätzlich alle Autoprobleme im Nullkommanix und mit Spaß lösen können. Der Ersatzreifen, der unter dem Auto hing, ließ sich nach etwa 6000 Kilometern Wüste nicht mehr lösen und der Wagenheber hatte einen Defekt – und ich hatte zuvor noch nie einen Reifen gewechselt. Zum Glück hielten andere Reisegruppen an, und wir konnten gemeinsam – trotz aller Sprachbarrieren – den Reifen wechseln.

Solche unerwarteten Situationen gab es schon viele auf unseren Reisen – sei es, in einem Haus mitten im Dschungel ohne Strom klarzukommen, einen abgelegenen mexikanischen Grenzübergang ohne Bestechung zu überqueren oder mit der Polizei in Guatemala einen Betrüger zu jagen, der uns mit Tourtickets über das Ohr gehauen hatte. Und ich habe das Gefühl, dass ich jedes Mal etwas Neues gelernt habe, dass ich auch im Beruf anwenden lässt. Zu Recht liest man doch immer wieder, dass die sogenannten Soft Skills wichtig sind und in Zukunft immer wichtiger werden. Denn die Welt verändert sich immer schneller und die Computerprogramme, deren Bedienung man heute noch gelernt hat, sind schon morgen überholt.

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Da ist es wichtig, keine Angst vor dem Unbekannten zu haben sowie mit kreativen Mitteln und globaler Teamarbeit neue, einzigartige Lösungen zu erarbeiten. Warum sind Arbeitgeber also immer noch so zurückhaltend, wenn es um Elternzeit und Langzeitreisen, z.B. auch ermöglicht durch Sabbaticals, geht? Klar, jede langfristige Abwesenheit stellt einen Arbeitgeber vor besondere organisatorische Herausforderungen, die sich in den allermeisten Fällen aber lösen lassen. Und wenn Väter (und Mütter) dann zurück ins Unternehmen kommen, dann sind sie viel wertvoller als zuvor – immerhin sind sie trotz Alternativen zurückgekommen, wahrscheinlich sogar zufriedener und motivierter als zuvor.

Als ich von meiner ersten Weltreise zurückkam, hat mich mein damaliger Arbeitgeber auf das berühmte „Abstellgleis“ geschickt. Er hat mir das Minimum von dem angeboten, wozu er gesetzlich verpflichtet ist und hat zudem deutlich gemacht, dass er in meiner Entscheidung für Elternzeit und Weltreise keinen wirklichen Nutzen sieht. Also habe ich gekündigt und mir einen neuen Job gesucht, mit mehr Verantwortung und einem höheren Gehalt. Mein neues Unternehmen hat die Elternzeit und die Weltreise nicht abgeschreckt.

Kai Bösel
Kai Bösel
Kai Bösel ist Patchwork-Dad von drei Kindern, die eigene Tochter Mika ist im April 2012 geboren. Der Hamburger ist Online-Publisher und betreibt neben Daddylicious auch das "NOT TOO OLD magazin" inklusive Podcast. Außerdem schreibt er für ein paar Zeitschriften und Magazine und hilft Kunden und Agenturen als Freelance Consultant. Nach dem Job entspannt er beim Laufen oder Golf.

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