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Buchtipp: #gemeckerfrei – Interview mit Erziehungsexperte Bernd Bott

Nicht zuletzt in der aktuellen Situation, durch Homeschooling und beruflichen Stress liegen die Nerven bei vielen Eltern blank. Und dann nimmt auch die Geduld eher ab, viele sind dann dünnhäutig und gereizt im Umgang mit den Kindern. Das führt zu Gemecker und angespannten Situationen. Erziehungsexperte Bernd Bott weiss, dass es anders geht. Daher hat er zusammen mit seiner Frau Uli das Buch #gemeckerfrei geschrieben, welches nun zu bekommen ist. Darin gibt es Tipps, wie die Erziehung verbessert und das Familienleben so wieder harmonischer werden kann. Das ist sicherlich für viele Leser sehr spannend, daher haben wir mit ihm ein Interview geführt und ein paar Fragen zu #gemeckerfrei gestellt.

Hier sind die Antworten von Bernd Bott zu #gemeckerfrei

1. Lieber Bernd, du hast gerade ein Buch für Eltern veröffentlicht, welches „#gemeckerfrei“ heißt. Wie wurdest du zum Experten in Erziehungsfragen?

Ich komme als Musiker und Musiklehrer ja ursprünglich aus einem ganz anderen Bereich. Die zerstrittene Ehe meiner Eltern, die in einer hässlichen Scheidung endete, hat mich jedoch dazu motiviert, entweder nie eine Familie zu gründen oder wenn doch, dann eine glückliche, liebevolle Familie mit innigen Beziehungen untereinander. Und dann traf ich meine jetzige Frau vor 26 Jahren, deren Vision schon immer war “Die Welt für Kinder schöner machen!”. So war für uns beide klar, dass unsere Familie etwas ganz Besonderes werden soll.

Wir waren nicht bereit zu akzeptieren, dass schimpfen, schreien, bestrafen und sich streiten zum Alltag als Paar und als Familie dazugehört. Wir haben es zwar — gerade anfangs — nicht immer geschafft, ja sogar herbe Rückschläge erlebt, doch mit der Zeit und einigem Forschen und Probieren wurde es immer besser. Hier hat natürlich der fachliche Background meiner Frau eine große Rolle gespielt, sie ist Diplom-Pädagogin und hat in 20 Jahren in ihrem eigenen Fortbildungsinstitut über 100.000 pädagogische Fachkräfte unterstützt.

Als dann unser ältestes Kind 18 wurde, haben wir beschlossen, ab sofort gemeinsam Eltern zu unterstützen, #gemeckerfrei zu werden und bieten seitdem Online-Coaching Programme an.

Unsere 4 Kinder sind jetzt zwischen 12 und 21 Jahre alt und wir können daher den Menschen die Mischung bieten aus theoretisch-fachlichem Hintergrund und der praktischen Erfahrung.

2. Aus deiner Sicht ist Meckern bei Kindern keine Lösung. Wie unterschiedlich gehen Mütter und Väter hier zur Sache?

Aus meiner eigenen Erfahrung und aus der Erfahrung mit unseren Teilnehmer:innen zeigt sich bei aller Unterschiedlichkeit eine Tendenz: Mütter kritisieren schneller sich selbst, während Väter die Tendenz haben, andere verantwortlich zu machen. Und viele Väter kennen als “Notnagel” nur Autorität und Strenge. Weil, wenn wir nicht mehr weiter wissen, dann greift unser System immer auf alte Erfahrungen und Muster zurück. Und das sind meistens die, die wir selbst erlebt haben.

Jeder Vater und jede Mutter wünscht sich jedoch eine innige Beziehung zu seinen Kindern, gerade auch dann, wenn diese irgendwann erwachsen sind. Die Beziehung zu unseren erwachsenen Kindern ist nämlich um ein vielfaches länger als die ersten 18 Jahre. Nur vergessen viele dieses Ziel so schnell, wenn sich Geschwister streiten, wenn ein Kind Wutanfälle bekommt, nicht schläft,…

Bernd Bott, Autor von #gemeckerfrei - mit Frau und vier Kindern
Bernd Bott, Autor von #gemeckerfrei

3. Du sagst, dass Erziehungsratgeber nicht immer hilfreich sind. Aber wer sie liest, ist sich immerhin eines Problems bewusst. Wie bekommt man alle anderen zu fassen?

Ich denke alle Eltern haben im Grunde genommen das Ziel einer glücklichen, liebevollen Familie. Und die allermeisten kommen irgendwann auch mal an den Punkt, wo sie das Gefühl haben, dass sie dieses Ziel nicht erreichen können. Genau deshalb haben wir unser Buch anhand unserer eigenen Geschichte aufgebaut: Weil wir das auch erlebt haben. Und viele Umwege und Sackgassen gegangen sind, die wir heute anderen ersparen können. Wir schreiben als Paar und schon alleine deshalb nehmen auch viele Väter das Buch in die Hand.

Jede:r, die/der unser Buch #gemeckerfrei liest und damit als Familie ein bisschen mehr Liebe, mehr Nähe, mehr Spaß erlebt, zeigt anderen, was noch möglich ist. Und ist damit Inspiration und Vorbild. So erreichen wir auch diejenigen, die nie einen Ratgeber in die Hand nehmen würden.

4. Der Lockdown hat sicherlich dazu beigetragen, die Situation für viele Kinder zu verschlechtern, weil sie zuhause zu leiden haben. Das fängt wahrscheinlich mit Gemecker an, oder?

Ja, und zwar fängt das Gemecker viel früher an, als die meisten glauben. Denn es beginnt immer zuerst in uns. Als inneres Gemecker, mit bzw. gegen uns selbst. Und erst dann wird im Außen Gemecker — oder, was dann noch viel schlimmer ist, mehr — daraus. Und unsere Kinder sind uns da ausgeliefert, weil wir ja ihr Fixstern sind und weil sie uns ja nicht entkommen können. Wer also sein inneres Gemecker bemerkt und es verändert, der wird auch im Außen immer weniger meckern.

5. In der Ankündigung des Buches heißt es, ihr setzt nicht bei der Erziehung der Kinder an, sondern packt den Auslöser bei der Wurzel. Klar sollen die Eltern am besten das Buch kaufen, aber kannst du eine kleine Vorschau geben?

Natürlich sehr gerne. Wie schon oben beschrieben geht es darum, dass wir erkennen, dass alles immer in uns beginnt. Eines unserer Kinder hatte extreme Wutanfälle wegen — aus unserer Sicht — totalen Nichtigkeiten. Wir kamen nicht dahinter, was los war und woher diese rührten. Obwohl unsere Kinder langzeitgestillt waren, nur halbtags in der Kita, unser ganzes Haus ein einziges (chaotisches) Spielparadies war — immer wieder diese Wutanfälle. Bis wir erkannten, dass unser Kind wie ein Seismograph auf kleinste Anspannungen in oder zwischen uns Eltern reagierte.

Und das waren keine Streits, sondern einfach nur so “giftige” Gedanken wie: “Warum steht da schon wieder Geschirr in der Spüle.” — Das hat uns den Weg gezeigt, wie sehr es darum geht, mit sich selbst zu beginnen. Weil wir alle den Wunsch und die Fähigkeit in uns tragen, intuitiv zu wissen was für uns und unsere Mitmenschen gerade gut ist. Und wenn wir diese Fähigkeit wieder reaktivieren, dann brauchen wir keine Erziehung. Weil wir dann unseren Kindern die Vorbilder sein können, die sie brauchen.

Eltern haben meistens sehr viel Angst, etwas falsch zu machen, weil sie unter enormem Leistungsdruck stehen. Wir denken, wir müssten Kindern alles Mögliche beibringen, was sie sowieso lernen würden, wenn wir sie einfach lassen. Beispiel Familienbett: Wie oft habe ich vor 20 Jahren den Satz gehört: “Den Kerl kriegt ihr nie mehr aus eurem Bett raus!” — Ich habe gestern nachgesehen — er liegt nicht mehr drin 🙂

Bernd Bott Autor von gemeckerfrei
Erziehung geht auch #gemeckerfrei – sagt Bernd Bott

6. Schon in meiner Jugend wurde der Begriff der antiautoritären Erziehung geprägt. Für Kritiker ließ das den Kindern zuviel Spielraum. Wie kann man es denn heutzutage richtig machen?

Antiautoritäre Erziehung war ja einfach nur eine extreme Gegenbewegung zur damals vorherrschenden Erziehungsart. Und in ihrem Extrem genauso falsch. Weil sie Kindern zu viel Verantwortung überlassen und sie dadurch vernachlässigt hat. Wir sind als Eltern — und sogar als Gesellschaft — ja dazu verpflichtet, Kindern einen sicheren und geschützten Rahmen zu bieten, in dem sie sich entwickeln können und ihre Erfahrungen machen können. Wir haben da eine ganz einfache Frage, die — wenn man sie konsequent einsetzt — vieles an unnötigen Regeln und Grenzen zu Fall bringt und gleichzeitig dabei hilft, den wichtigen schützenden Rahmen halten zu können.

Eben die Balance zwischen absoluter Strenge und Antiautorität: “Was könnte schlimmstenfalls passieren?” — Wenn ein Kind Fahrradfahren lernt und irgendwann die ersten Meter alleine fährt, dann laufen wir erstmal vielleicht noch nebenher und doch müssen wir es alleine fahren lassen. Was könnte schlimmstenfalls passieren? — Es stürzt und tut sich vielleicht sogar weh dabei. Das ist nicht schön, die Welt geht jedoch nicht unter dabei.

 Wir lassen das Kind jedoch nicht direkt alleine auf der Straße fahren. Weil die Antwort auf Was könnte schlimmstenfalls passieren? uns sagt, dass die Folgen zu gefährlich sind.

Diese Frage lässt sich im Alltag sehr oft einsetzen und führt — wenn wir sie ehrlich beantworten — häufig zu großer Freiheit für unsere Kinder — und damit zu einem großen Geschenk für ihre Entwicklung.

7. Was ist in dem Zusammenhang die #gemeckerfrei-Methode?

#gemeckerfrei ist genau genommen eine Lebenseinstellung. Es ist eine innere Haltung, die darin besteht, dass ich eine innige, liebevolle Beziehung zu mir selbst und zu meinen Mitmenschen habe. Das Wichtigste ist immer die Beziehung, in jedem Moment. Kein Ärger, kein “Fehler” des Kindes, keine Schulnoten, kein Schwindeln, kein zu spät nach Hause kommen ist wichtiger als die Beziehung zueinander. Wenn wir als Eltern das unsere Kinder immer spüren lassen, dann kann ein gemeckerfreier Alltag gelingen.

8. Lassen sich aus dem Umgang mit den Kindern auch Rückschlüsse ziehen, wie es um die Partnerschaft bestellt ist?

Ich weiß nicht, ob man das pauschal beantworten kann. Sicher ist jedoch, dass es immer zusammenhängt. Weil wir als Familie ja ein komplexes Geflecht sind aus den ganzen Beziehungen. Und da beeinflusst sich alles gegenseitig. Deshalb ist es ja so wichtig, Familie als Ganzes zu betrachten und nicht “Erziehung” als etwas Losgelöstes. Kinder lernen viel mehr durch Nachahmung als durch Regeln.

9. Wenn du unseren Papas ein paar kurze Tipps mitgeben darfst, welche wären das?

Erlaube dir, deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Es geht nicht darum, wie “man” es macht, es geht immer darum, wie es dir und deinem Kind gerade gut tut.

Lerne dich selbst kennen, höre in dich hinein, um zu bemerken, wo du anfängst dich selbst oder andere zu kritisieren. Und dann sei sanft mit dir selbst und fang an, dich immer weniger zu verurteilen. Dann fällt dir das auch mit deinen Kindern immer leichter.

Es ist viel wichtiger, den Kindern ein gutes Vorbild zu sein, als ihnen irgendetwas beizubringen oder von ihnen zu verlangen. Mein Lieblingszitat dazu stammt von Karl Valentin: “Wir können Kinder nicht erziehen, weil sie machen uns ja eh´ alles nach!”

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10. Mit wem hast du zuletzt gemeckert?

Mit mir selbst. Ich habe es aber schnell genug bemerkt 😉

Vielen lieben Dank für diese informativen und hilfreichen Infos. Und liebe Leser, wenn ihr nun Lust auf das Buch #gemeckerfrei habt, findet ihr es hier. Über 150 Bewertungen mit fünf Sternen sprechen für sich:

Hier findet ihr weitere Interviews und Buchtipps für Väter. Und hier findet ihr die Website von Uli und Bernd Bott mit noch mehr Infos zu ihrem Coaching-Angebot und dem Buch #gemeckerfrei.

Alle Fotos von © Philipp Uricher

Kai Bösel
Kai Bösel
Kai Bösel ist Patchwork-Dad von drei Kindern, die eigene Tochter Mika ist im April 2012 geboren. Der Hamburger ist Online-Publisher und betreibt neben Daddylicious auch das "NOT TOO OLD magazin" inklusive Podcast. Außerdem schreibt er für ein paar Zeitschriften und Magazine und hilft Kunden und Agenturen als Freelance Consultant. Nach dem Job entspannt er beim Laufen oder Golf.

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