Ein Gastbeitrag zur IGS in Hamburg von Ole Müggenburg
Endlich. Der Sohn ist im Bett, das Glas Rotwein steht auf dem Tisch. Vaddi hat Feierabend. Der geübte Griff zur Fernbedienung. Jetzt wird´s gemütlich. Fast – denn statt Topgear oder „In Sekunden zerstört“ gibt es die Kocharena und irgendeinen grauenhaft langweiligen Tatort. Nun gut, schalten wir mal in die hinteren Kanäle. Plötzlich bleibt der Finger still. In einer fantastisch billigen Studiodekoration des Lokalsenders Hamburg 1 sitzen Menschen, deren grotesk beamtenstaubiges Äußeres sofort meine Aufmerksamkeit wecken.
Au fein, Freakshow! Schnell das nächste Gläschen füllen und zurücklehnen. Eigentlich dachte der PR-Mann gerade, dass er sich an einer Skurrilität der deutschen Medienlandschaft erfreuen dürfte, da fällt diese Zahl: 37 Millionen. 37 Millionen Euro. Soviel beträgt das Defizit der diesjährigen „Internationalen Gartenschau“ in Hamburg. Hups, schnell das Glas abgesetzt. Letzte Woche waren es doch noch 31? Nein – 37 weitere Millionen Euro darf der Hamburger Steuerzahler aufbringen für eines dieser „Leuchtturmprojekte“ dieser Stadt. Nun, nach 789 Millionen für die Elbphilharmonie- who cares?
Eigentlich regt es den gemeinen Hanseaten nicht mehr auf, denn irgendwie ist das ja das Leben der anderen. Aber da kommt von einer knöchernen 50 jährigen mit grauen Haaren, die vom Untertitel als „Bausenatorin Jutta Blankau“ bezeichnet wird, die Erklärung für dieses Fiasko. Das „schlechte Wetter“ sei schuld und die „vielen Konkurrenzveranstaltungen in Hamburg“. Ich lehne mich leicht nach vorn, denn der Druck in meinem Kopf ist plötzlich zu groß. Meine Hand klammert sich um das Rotweinglas und die Adern treten heraus. DAS WETTER? Nach mehreren traumatösen Jahren mit Dauerregen über nahezu elf Monate meine ich mich an einen Traumsommer 2013 zu erinnern. Stimmt meine Medikation wieder nicht oder hatten wir seit Juni bis Ende September nicht eigentlich ständig Sonne?
KONKURRENZVERANSTALTUNGEN? Hui, der Kirchentag, der Schlager Move und die Harley Days. Ja, die kommen gleich nach der Fußball WM, was die Zuschauerzahlen angeht. Und warte mal – sollte man nicht leichte Synergien zwischen Kirchentag und Gartenschau erwarten? Und war die U-Bahn nicht voll von Jack-Wolfskin-Jacken-Paaren mit lila Tüchern, die einen nach der S-Bahn zur IGS fragten?
Die apokalyptische Ignoranz dieser Erklärung lässt mich grübeln, wo ich meinen alten Nunchacko auf dem Boden liegen habe. Ich möchte schlagartig ein Taxi nehmen, zur Rothenbaumchaussee fahren und fröhlich damit fuchtelnd ins Studio einfallen. Die Worte, die ich vor meiner Verhaftung schreien würde sind: „Das Konzept! Das Konzept war einfach eine Katastrophe!“
Doch ich entsinne mich meines Alters und meiner Vorbildfunktion meinem Sohn gegenüber und lehne mich zurück. Meine Gedanken gehen zurück an diesen Tag im Mai. Nachdem Julius und ich jede- aber auch jede- Möglichkeit des Vater-Sohn-Amüsements in dieser Stadt ausgereizt hatten, kam Papa auf die pädagogisch wertvolle Idee doch mal zur „Internationalen Gartenschau“ zu fahren. Klar, das klingt zwar wie ZDF Fernsehgarten und Gerontologie-Disko aber – so erklärte ich dem irgendwie gar nicht begeistertem 7-jährigen: „Da gibt’s bestimmt super Spielplätze“. OK, alle Zeitungsberichte ließen schlimmes vermuten, aber als total offener Medienmensch will man sich ja selbst ein Bild machen.
Von braungrauen Beeten war da die Rede und von Parkplätzen, die kilometerweit vom Eingang entfernt waren. Egal- die Schwebebahn soll knorke sein! Also, hin da! Am Eingang ein Bild, dass ich nicht erwartet hatte. Ein kleines Kassenhäuschen mit einer Schlange, die eher an Blindschleiche erinnerte. Drei Senioren, eine Dame davon entspannt auf den Rollator gestützt. Ach, schau mal- das haben wir aber gut abgepasst. Total das internationale Super-Event und wir rutschen so rein. Oh? 21 Euro Eintritt? Na ja, Indoorspielplatz mit Eis und so kostet auch was. Also rein.
Wir passieren ein paar schicke Design-Häuser direkt am Kanal, die in Wilhelmsburg so natürlich wirken wie Harald Glööckler beim Kameradschaftsabend der Wehrsportgruppe Hoffmann . Aber schick, echt schick. Hier würde man auch wohnen wollen. Doch anstatt das tolle städtebauliche Konzept zu bewundern denke ich an den armen Friedrich Noah, der mit seinen innovativen Gut-Drauf-Eltern aus Eimsbüttel hierher zieht und fortan ständig von den Wilhelmsburger Natives vermöbelt werden wird. Schluss! Schluss mit diesem typisch negativen Alles-Schlechtmach-Zeugs. Auf geht’s zum Super Spaß in die „Internationale Gartenausstellung“!
Mit forschem Schritt gehe ich voran und zerre Julius leicht hinter mir her, dessen geübter Blick zu den Langnese Dealern auf der linken Seite wandert. Nein, Julius- wir gehen erst einmal rein und dann gibt’s ein Eis!
Schau mal, die Schwebebahn! Schwebebahn? Gab´s so etwas nicht schon bei den Olympischen Spielen 1972 in München? Nein – schnell weg mit den negativen Gedanken und rein in die Superbahn. Oh, erst noch einmal 10 Euro extra. Äh….ja. egal. Das erlebt man ja nur einmal. Also, auf geht’s zur fröhlichen Rundfahrt über das IGS Gelände. Und was man da alles Tolles sieht! Ja, was denn eigentlich? Eine Schwimmhalle, einen Kletterpark und eine Schrebergartenkolonie. „Schau mal Julius! Die schönen Blumen!“ möchte ich rufen, doch ich sehe irgendwie keine.
Stattdessen rattern wir auf irgendwas, das an die „Wilde Maus“ auf dem Hamburger Dom erinnert durch einen Park einer Palliativ Klinik in Neumünster. Viele Menschen in grau-beiger Kleidung, die von ungeduldigen Gruppenführern durch Blumenrabatte gezerrt werden. „Schau Julius, die schönen Blumen!“ Julius schaut aber nicht raus, sondern zieht es vor, eine Spinne auf dem weißen Plastiksitz zu zerdrücken. Ok, dann also raus aus der Bahn und rein ins pralle Leben. „In 80 Gärten um die Welt“ verspricht die Öffentlichkeitsarbeit. Super, da wird die Mutti aber staunen, was der Pappi pädagogisch wertvolles mit dem Sohnemann so am Wochenende macht! Ha! Los geht’s.
Als erstes passieren wir einen „Skatepark“. Ne, Julius, wir haben kein Skateboard dabei und außerdem kommt mir das alles hier auch vor, wie Kunst im öffentlichen Raum vor einem Einwohnermeldeamt im südlichen Niedersachsen. Guck mal, wir sind in der „Welt der Bewegung“! Gleich mal dieses – ja was ist das eigentlich- ausprobieren. Julius dreht sich auf etwas, das irgendwie Kick verheißt, verhakt sich aber am didaktischen Konstrukt und klemmt sich gleich mal kräftig das Bein.
Toll, 20 Minuten hier und der große Junge weint schon. Schnell Ruhe schaffen und ab zu einem der Langnese Stände, die alle 50 Meter strategisch günstig platziert sind. OK, du kannst das größte Eis nehmen. Denn das gibt mir Zeit für eine Zigarette auf einer Parkbank. „Und? Is cool, oder?“ Julius murmelt irgendwas in sein Cornetto Mega XXL rein.
Egal, weiter geht´s zum Kletterpark. Der sieht doch echt amtlich aus. Amtlich ist aber auch der Preis. Nochmal 23 Euro. OK, Heidepark kostet mehr. Plötzlich kommt mir der Satz meiner Ex in den Kopf, die mich immer als den dreifachen deutschen Meister der Verdrängung bezeichnet hat. Julius baumelt jedenfalls lustlos im „Afrika Parcours“ und schreit, dass er keine Lust mehr hätte. Kein Problem, es warten ja noch 79 klasse Gärten!
Ich zerre einen mittlerweile sehr übel gelaunten 7-jährigen an ebenso schlecht gelaunten 70-jährigen vorbei durch die nächsten Attraktionen. Oder so. Eigentlich schleife ich ihn durch einen Schulgarten der 70er Jahre. In irgendwelchen Betonblöcken gammeln undefinierbare grüne Dinge vor sich hin. Die Traurigkeit der Pflanzen wird nur noch übertroffen von vereinzelten Müttern mit vollgekrümelten Buggys, die vor der „Eventbühne“ hoffen, kurz mal in Ruhe eine Marlboro Light rauchen zu können. Dieser widmen sie jedenfalls deutlich mehr Aufmerksamkeit als dem was sich auf der Bühne abspielt. Kein Wunder, denn da gibt es nur einen schwarzgewandeten Tontechniker, der irgendetwas von einer Ecke in die andere räumt.
„Krieg ich noch ein Eis?“ Alle pädagogischen Vorsätze sind beiseite geräumt, ich will einfach nur noch, dass der Lütte irgendwie den Albtraum, denn ich hier erlebe nicht teilen muss. Also wieder auf zu einer der gelangweilt dreinschauenden Studentinnen und Zuckeropium kaufen. Ich gebe mir wirklich größte Mühe, die Gartenpädagogik zu verstehen aber ich verstehe einfach nicht, warum irgendwelche wackeligen Sonstwas-Konstruktionen jetzt Südamerika darstellen sollen. Wie komme ich auch drauf so etwas wie „die größte Stinkpflanze der Welt“, oder „echte Killer-Lianen“ zu erwarten. Blöder Event-Pappa.
Hier geht’s um Didaktik! Ich mal mir den Cordhosenbewandeten Beamten vor, der sich nach einem Eibrötchen und einer schönen selbstgedrehten Drum auf seinem Liegerad diesen Kindertraum ausgedacht hat und spüre das Verlangen mit einem Vollgummirohr bewaffnet in die Baubehörde einzufallen.
„Noch ein Eis, Julius?“ Mein ganzer Stolz hat mittlerweile den Blutzuckerspiegel einer Junggesellentruppe auf Red Bull Wodka. Egal, schnell mal ein paar hübsche Fotos auf facebook posten. Man ist ja schließlich scheinbar der erste der Peergroup, der hier ist. Immer ganz weit vorn. Gehört sich ja so als PR-Profi.
Der gleiche PR-Mann fragt sich aber ständig, ob sich eigentlich irgendjemand in dieser Stadt mal die Frage gestellt hat, wer denn die Zielgruppe dieser Veranstaltung ist und was diese Zielgruppe wohl interessieren könnte. Ich hätte offensichtlich mal ganz naiv gesagt „Familien mit Kindern!“. Aber da hab ich mich offensichtlich komplett vertan, denn weder sehe ich weitere Väter mit Kindern noch gibt es irgendetwas, das für diese Randgruppe interessant wäre.
Vielleicht die Themeninsel „Zwischen Supermarkt und Kakaofeldern“? Oder sollte Julius sich doch eigentlich für den „Garten der Religionen“ interessieren? Nein, er findet diesen „Ort des Austausches und der Toleranz“ und eher an einen Friedhof erinnernden Teil dieses Hamburger Highlight Events so interessant wie ein Prinzessin Lillyfee Quartett. Doch im tiefsten Tal meiner Depression taucht das Nirvana auf: ein Spielplatz! Hierzu muss man bemerken, dass die Spielplätze im „Planten un Blomen“ Gelände selbst 40 Jahre nach ihrer Eröffnung anlässlich der Gartenschau 1973 zum Besten gehört, was die Stadt bis heute spielplatztechnisch zu bieten hat. Da muss ja jetzt der echte Rock`n Roll kommen! Wir haben schließlich 2013!
Doch nein, gegen das, was sich uns beiden Jungs jetzt bietet, ist Planten un Blomen Fear and Loathing in Las Vegas mit Crack und Schnäpschen für alle. Ein mittelmäßig langweiliger Spielplatz, der offensichtlich von einem Studenten der Technischen Universität mit Nebenfach Pädagogik konzipiert worden ist. Vielleicht zur „Fata Morgana“? Komisch, anstatt sich an blauen Glassplittern und Blechbüchsen zu erfreuen entdeckt Julius eine Ansammlung von Ameisen, der er begeistert den Gar ausmacht. Ich gebe auf. Noch´n Eis und bloß weg hier.
Ich zerre meinen Filius durch die irgendwie bizarr an amerikanische Vorstädte erinnernde Schrebergartenkolonie in Richtung Ausgang. Endlich raus.
Vielen Dank für die Blumen.
Später hörte ich dann noch von prima Programm Highlights. Tortenwettbacken soll es gegeben haben und Blumenköniginnen aus ganz Deutschland. Und ein Gastspiel des Ohnsorg Theaters. Das hörte ich aber nur aus Zeitungen, denn von meinem Umfeld ist soweit ich weiß niemand hingegangen.
Was bleibt? Ein neuer Park mit einem ganz hübschen See für den nicht gerade verwöhnten Stadtteil Wilhelmsburg, eine Schwimmhalle mit Kletterwand. Ein durchaus sinniges Infrastruktur Projekt. OK. Es ist den Bürgern auch zu gönnen. Sie haben sich ihren Park gleich nach der Schließung der IGS dann auch gleich auf gebührende Weise erobert – nämlich durch massenweise Plünderung der Pflanzen. Und? Kann man es ihnen verübeln? Nein. Denn die 37 Millionen Euro bezahlen auch sie. Ganz wichtig: die 37 Millionen sind nicht der Betrag, den der Bau des Parks und das laufende Programm gekostet haben.
Die 37 Millionen sind einzig die Differenz zur Kalkulation dessen, was man ursprünglich aus den Eintrittsgeldern generieren wollte und für die die Stadt Hamburg bürgt. Statt der erwarteten 2,5 Millionen wollten am Ende lediglich 1,25 Millionen Menschen die IGS besuchen. Die Planer haben sich also mal eben um 50 Prozent vertan! Mal als Vergleich: Die Bundesgartenschau in der Millionenmetropole und Tourismushochburg Koblenz konnte 3,5 Millionen Besucher anlocken.
Fazit zur IGS 2013
Die IGS 2013 ist eine gigantische Fehlplanung. Von Beginn an. Sie ist ein schreiendes Beispiel für behördliche Ignoranz und Unfähigkeit. Wenn selbst internationale Hotspot-Metropolen wie Koblenz doppelt so hohe Besucherzahlen verzeichnen konnten wie Hamburg – dann muss die Frage nach der Grundkonzeption gestellt werden.
Diese Stadt hat ein gewaltiges kreatives Potential, siehe die tollen Projekte Gängeviertel oder das völlig privat finanzierte Wiederauferstehen des Rialto Kinos für einen Sommer. Dieses Potential ist aber offensichtlich in keiner Weise angezapft worden. Wer hier ernsthaft dem Wetter oder Konkurrenzevents die Schuld gibt, gehört einzig mit einem Blumenkleidchen bekleidet an einem verregneten Novembertag zum Aufräumen in den Park geschickt.
37 Millionen – Ich brauch jetzt ein paar Blumen. Enzian soll gut sein.
Hier gibt es weitere Beiträge zu lohnenswerten Ausflügen.
Fotocredits: igs 2013/Andreas Bock (alle, bis auf das letzte Bild), Ole Müggenburg