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InterviewsInterview mit Torsten Rebbe von SOS Kinderdorf aus Hamburg

Interview mit Torsten Rebbe von SOS Kinderdorf aus Hamburg

Bestimmt habt ihr schon von der Organisation SOS-Kinderdorf gehört. Aber die wenigsten von euch werden sich intensiver mit deren Angeboten befasst haben. Das wollen wir heute ändern, daher haben wir uns mit Torsten Rebbe, dem Einrichtungsleiter bei SOS-Kinderdorf in Hamburg zum Interview getroffen. Wir wollten mehr über die Arbeit erfahren, hatten aber auch einen ganz konkreten Anlass für den Austausch: Zum 50-jährigen Jubiläum des Ablegers in der Hansestadt haben die Kollegen ein paar Szenarien entwickelt, wie Kinderwelten 2070 aussehen könnten. Mit einem Augenzwinkern, aber auch der nötigen Ernsthaftigkeit.

Und die Zukunft geht uns alle an, aktuell mehr denn je. Der Klimawandel, die kriegerischen Handlungen und auch die immer noch fehlende Toleranz lassen viele Eltern mit Sorge in die Zukunft schauen. Unsere Aufgabe ist es, unseren Kindern eine lebenswerte Umgebung zu schaffen, in der sie ohne Nöte aufwachsen können. Die Einrichtungen vom SOS-Kinderdorf können nicht alle Probleme lösen, helfen aber gerade den Kindern, die in Not geraten. Für mehr Infos findet ihr hier die Antworten von Torsten Rebbe auf unsere Fragen.

Antworten von Torsten Rebbe

  1. Hallo Torsten, du bist der Leiter von SOS-Kinderdorf Hamburg. Und auch, wenn wohl jeder eure Organisation kennt, ist vielleicht nicht jedem klar, was ihr genau tut. Erzähl uns das gern einmal.

Wir sind für Kinder in Hamburg da. Konkret heißt das: Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche in unserer Stadt gut aufwachsen. Für uns ist wichtig, dass Kinder Eltern haben, die sie stark und sicher durch den Familienalltag begleiten. In unserem SOS-Familienzentrum Dulsberg bieten wir nicht nur Kurse für Eltern oder die Familienberatung, sondern haben auch Angebote wie das Familiencafé und den Kinderkleiderladen. Für die Kinder haben wir auch einiges: Musikstunden bei den „Musik-Kindern-Dulsberg“, Hilfe bei den Hausaufgaben, einen Leseclub, Sport wie Aikido und ein Ferienprogramm.

Wenn es bei den Familien knirscht und Eltern Hilfe benötigen, dann unterstützen die Kollegen und Kolleginnen in den Ambulanten Hilfen umfassend und direkt in den Familien. Falls Kinder nicht bei ihren Eltern aufwachsen können – weil diese beispielsweise durch Sucht oder eine psychische Erkrankung nicht in der Lage sind – dann finden diese Kinder ein Zuhause in den SOS-Kinderdorffamilien.

  1. Mit dem Projekt „Kinderwelten 2070“ habt ihr Szenarien für die Zukunft entwickelt. Aber lass uns erstmal zurückgucken. Was erlebt ihr bei der täglichen Arbeit und wie hat sich das in den letzten 20 Jahren verändert?

Was geblieben ist: Familie ist kein Selbstgänger. Familie herzustellen ist immer wieder eine Aufgabe für Eltern, bei der sie Unterstützung gebrauchen können. In einer Welt, die komplizierter wird, wird auch Familie nicht einfacher. Dazu gehört auch die Welt der Kinder, diese wird immer kontrollierter.

Ich beobachte, dass Eltern sich für ihre Kinder engagieren – manchmal sogar schon überbehütend. Kinder wachsen mehr unter Beobachtung auf.

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© Andy Kelly (Unsplash)
  1. Euer Ziel ist es, wenn nötig, Kindern in Kinderdorffamilien ein sicheres Zuhause zu geben. Könnt ihr denn alle Anfragen bedienen und wie sieht eine Kinderdorffamilie aus?

Die Anfragen übersteigen die Anzahl unserer Plätze bei Weitem. Uns ist es wichtig, dass Kinder, die nicht in ihrer Ursprungsfamilie aufwachsen können, ihr Umfeld wie Schule oder Verein sowie Freunde und Freundinnen behalten können. Wenn uns das gelingt, hilft das dem Kind sehr.

Wie jede Familie sind auch unsere Kinderdorffamilien total unterschiedlich: Von der Kinderdorfmutter über den Kinderdorfvater bis hin zur Kinderdorfmutter mit Ehemann. Wir können Geschwisterkinder aufnehmen, sodass diese nicht getrennt voneinander groß werden. Auch sonst achten wir bei der Familienzusammenstellung darauf, dass die Altersabstände entsprechend sind und beispielsweise nicht vier zehnjährige Jungs zusammenleben. Nicht nur zwischen den Kinderdorfeltern und dem zukünftigen Kinderdorfkind muss die Chemie stimmen, auch zwischen den Kindern ist das wichtig.

Unsere Kinderdorffamilien leben wie einem Dorf zusammen. Sie bilden eine enge Hausgemeinschaft. Das SOS-Familienzentrum wirkt als Dorfplatz – mit Familiencafé als Mittelpunkt des Stadtteils, Kinderkleiderladen und vielen Kursangeboten für Kinder und Eltern.

  1. Für eure tägliche Arbeit seid ihr auf Spenden angewiesen. Wie locker sitzt das Geld in Krisenzeiten? Und wie wirkt sich die Zahlungsbereitschaft bei euch aus?

Wir sind dankbar, wie sehr die Hamburger/-innen die Kinder ihrer Stadt unterstützen. In Krisenzeiten wird „gezielter“ gespendet. Also zum Beispiel für Corona-Hilfen oder für die Ukraine.

Schön war auch zu sehen, wie sehr der Bau des „Hafen für Familien“ bespendet wurde. So floss das Geld in das Familienzentrum, was für die Familien offen steht und in die Wohnungen der Kinderdorffamilien.

Jetzt ist es wichtig, dass wir die Hilfen und Angebote für die Familien in Hamburg und in den Kinderdorffamilien weiter halten können. Jeder Euro hilft. Wer gern etwas spenden möchte, kann das gern tun an:

Hamburger Sparkasse
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HASPDEHHXXX

  1. Ihr habt einen umfassenden Einblick in die Wohnzimmer der Familien in Hamburg. Wie nimmst Du dabei insbesondere die Rolle der Väter wahr?

Viele Papas wollen sich engagieren und wissen nicht genau wie, da das Rollenmodell fehlt. Ich finde es super spannend, dass viele Väter das Familienzentrum besuchen – das hätte ich nicht erwartet. Außerhalb des Familienzentrums sehe ich eher weniger Väter in der Erziehungsarbeit. Ich nehme wahr, dass die Männer auf der Suche nach einer „guten Vaterrolle“ sind. Da ist der Austausch mit anderen natürlich hilfreich.

  1. Zu eurem 50-jährigen Jubiläum in Hamburg habt ihr einige Szenarien entwickelt. Aber erstmal ganz allgemein: was glaubst Du, wie sich die Gesellschaft und das Thema „Familie“ bis dahin entwickelt?

Da hatten wir auch bei den Zukunftsszenarien zwei sich widersprechende Pole. Auf der einen Seite könnte es zu einer starken Betonung der Familie kommen, da sich durch die Verlängerung der Lebenszeiten sich auch die Familienzeit verlängert. Da ist es spannend zu sehen, wie sich die Beziehung zwischen Kindern und Eltern verändert. Oder dass Traditionen und Rituale einer Familie länger weitergegeben werden können.

Zum anderen könnten Technologien zur Auflösung der Familie führen. Technik kann Beziehung verhindern. Eine Bindung wird nicht aufgebaut bzw. schwieriger werden.

  1. Eins eurer Szenarien sind OFFLINE-DÖRFER als Gegenbewegung zur digitalen, vernetzten Welt. Wäre das im Sinne unserer Kinder nicht heute schon eine lobenswerte Entwicklung? Oder wie bewertest Du die aktuelle Digitalisierung in den eigenen vier Wänden?

Ich glaube, dass Technologie ein Teil der Lösung unserer Probleme sein wird. Die Verneinung von Technologie ist aus meiner Sicht eher kontraproduktiv. Gleichzeitig kann ich die Sehnsucht nach einer Welt ohne Technik verstehen, das ist eine romantische Vorstellung. Diese Vorstellungen helfen auch die Bodenhaftung zu behalten, sich zu besinnen. Auszeiten sind durchaus notwendig.

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© N. (Unsplash)

Ein digitales Zuhause ist Fluch und Segen zugleich. Das sind neue Möglichkeiten, die sich bieten und die unsere Kinder viel eher ergreifen und nutzen als wir. Gleichzeitig müssen Eltern gut beobachten, was Suchtfaktoren betrifft und dass keine Flucht in die digitale Welt möglich ist. Der Bezug zur Realität darf nicht verloren gehen. Die Gefahr besteht, dass Eltern aus der Beziehung zu ihren Kindern gehen und diese den digitalen Medien überlassen.

  1. Bei dem Thema RESILIENCE-KID der Kinderwelten 2070 geht ihr auf die sich ändernden Lebensbedingungen und die Anpassung daran an. Stecken da nicht auch schon Endzeitszenarien aus Filmen wir „Mad Max“ oder „12 Monkeys“ drin?

Ja, definitiv. Wenn man das konsequent weiterdenkt, ist man bei solchen Szenarien. Wie schön wäre es, wenn man sich schwierigen Umweltbedingungen anpassen könnte.

Was das Szenario RESILIENCE-Kid bedeuten könnte: Dank ausgefeilter Technologien und Möglichkeiten können Embryos mit Hilfe des RESILIENCE KIDs Fähigkeiten entwickeln, die für sie lebensnotwendig sind. Das könnte beispielsweise bedeuten, dass Menschen so unter Wasser atmen, Salzwasser trinken und extrem verschmutzte Luft filtern können.

Dafür werden Kinder werden bereits vor oder kurz nach ihrer Geburt in ihrem Wesen angepasst. Das ist natürlich ein Eingriff in ihre Fähigkeiten und in ihre Persönlichkeit. Diese Anpassungen kann sich nicht jeder leisten: Die Ungleichheit zwischen Kindern nimmt enorm zu und ist an den Wohlstand der Familie gekoppelt. RESILIENCE KID adaptierte Kinder haben eine höhere Lebenserwartung und von Geburt an eine höhere Gewissheit für eine bessere Lebensqualität.

Die gegenseitige Verantwortung wächst enorm. So müssen Eltern bereits vor der Geburt ihrer Kinder für die Sicherheit ihrer Kinder sorgen. Familien- und Kinderplanung wird oft davon abhängig gemacht, ob Eltern sich die Anpassungsmöglichkeiten leisten können. Außerdem sind viele Familien auf die Fähigkeitsanpassungen ihrer Kinder angewiesen, um lebensfähig zu bleiben. Kinder sorgen vermehrt für ihre Familie, was teilweise zur Umkehrung des Eltern-Kind-Verhältnisses führt.

  1. Mit den Themen REALITY-FILTER und EDU-BOT geht es auch wieder um technische Entwicklungen. Ist es nicht viel wichtiger, Kindern zu mehr Bewegung, Kreativität und Nachhaltigkeit zu verhelfen?

Aus meiner Sicht ergänzt sich das und steht nicht im Widerspruch. Alles, was technologisch möglich ist, wird der Mensch tun. Die Szenarien beschreiben eine mögliche Version der Zukunft. Es gibt positive Aspekte und aber auch Gefahren. Auch zukünftig sollten Kinder sich bewegen, kreativ sein und nachhaltig leben.

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© Arteum.ro (Unsplash)
  1. Fernab aller düsteren oder heiteren Prognosen: gibt es abschließend noch etwas, was Du unseren Vätern sagen möchtest?

Vertraut euren Instinkten und Bedürfnissen, was den Umgang und die Zeit mit euren Kindern angeht. Ihr seid ein wichtiger Teil im Leben eurer Kinder, nehmt selbstbewusst eure Rolle ein.

Lieber Torsten, vielen lieben Dank für deine umfangreichen Infos. Wir sind sehr dankbar, dass es Einrichtungen wie das SOS-Kinderdorf gibt und werden eure Arbeit auch in Zukunft verfolgen.

Titelbild © SOS-Kinderdorf e. V./Catrin-Anja Eichinger

Kai Bösel
Kai Bösel
Kai Bösel ist Patchwork-Dad von drei Kindern, die eigene Tochter Mika ist im April 2012 geboren. Der Hamburger ist Online-Publisher und betreibt neben Daddylicious auch das "NOT TOO OLD magazin" inklusive Podcast. Außerdem schreibt er für ein paar Zeitschriften und Magazine und hilft Kunden und Agenturen als Freelance Consultant. Nach dem Job entspannt er beim Laufen oder Golf.

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