Ein Gastbeitrag von Ilka Poth
Fragst du dich manchmal: „Wie kann ich meine Kinder auf ihrem Weg am besten begleiten? „Was ist bei Zwillingen anders als bei Alleingeborenen?“
Ich habe für dich als (werdender) Vater von Zwillingen die vier wichtigsten Fakten aufgeschrieben, die du aus meiner Zwillingssicht kennen solltest. Sie werden dir helfen, deine Kinder von Anfang an besser zu versehen. So kannst du sie bei ihrer Entwicklung und ihren Zwillingsherausforderungen sehr gut unterstützen.
In diesem Beitrag erfährst du:
• was es mit der Bindung zwischen deinen Kindern auf sich hat und wie sie entsteht
• was das mit der Identität von Zwillingen zu tun hat und warum die Vater-Kind-Bindung so wichtig ist
• warum Idealbilder nicht mehr zeitgemäß sind und welchen Einfluss sie auf die Erziehung und das Zwillingsleben haben
• was Zwillinge am meisten hassen und warum!
Fakt 1: Die Bindung deiner Kinder zueinander wird ihr Leben prägen
Dass Zwillinge (ein- und zweieiig) eine besondere Bindung zueinander haben, besonders in der Kindheit, hast du bestimmt schon gehört. Erwachsene Zwillinge sprechen hier oft von einem unsichtbaren Band, das sie verbindet.
Diese Bindung entwickelt sich bereits im Mutterleib; spirituell gesehen, sogar schon vorher. Wenn deine Kinder sich im Bauch der Mutter befinden, spüren und riechen sie sich bereits. Die geschieht bevor sie die Geräusche und Präsenz ihrer Mutter wahrnehmen. Sie kommunizieren nonverbal miteinander und kommen sich auf engstem Raum sehr nahe. Sie entwickeln sich parallel und erfahren eine bedingungslose Liebe zueinander.
Es bildet sich eine erste sehr symbiotische Beziehung, da sie noch keine eigenen Körpergrenzen wahrnehmen. Sie wissen also nicht, dass sie zwei eigenständige Wesen sind (bis etwa zum 4. Monat nach der Geburt!). Sie sehen und fühlen sich sozusagen als eins und entwickeln eine gemeinsame Identität – ein Teil ihres eigenen Selbst steckt in dem anderen. Neben all dem Behaglichen, erfahren sie allerdings schon erste Wettbewerbssituationen, indem sie um Platz, Essen und die beste Position buhlen.
Sobald sie auf die Welt kommen, machen sie ihre erste Trennungserfahrung. Werden sie anschließend in getrennten Betten untergebracht, kann das bereits für die Babys traumatisch sein. Schließlich vermissen sie einen Teil von sich selbst. Durch die große Sicherheit und Geborgenheit, die sie sich gegenseitig geben, lassen sie sich oft leichter beruhigen, wenn sie nebeneinander liegen.
Meine Tipps für dich:
• Entwickle Verständnis für die tiefe Bindung deiner Kinder. Es wird dir helfen, sie bei ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten
• Sprich mit deiner Partnerin über die Vorgänge und Bindung deiner Kinder im Mutterleib
• Plane mit ihr, wie ihr Trennungssituationen begleiten möchtet. Stimme ein gemeinsames Vorgehen ab
Fakt 2: Primetime mit jeweils einem Zwilling ist enorm wichtig
Deine Kinder müssen neben ihrer gemeinsamen (Zwillings-)Identität eine eigene Identität entwickeln – schließlich sind sie zwei eigenständige Menschen.
Deine Aufgabe als Vater von Zwillingen besteht nun darin: Sorge mit deiner Erziehung dafür, dass die eigene Identität des einzelnen Kindes größer wird als deren gemeinsame Zwillingsidentität.
Das gelingt dir am besten, wenn du ihnen jeweils persönliche Primetime mit dir schenkst (gilt auch für die Mutter)! Die Art der gemeinsamen Zeit unterscheidet sich je nach Alter deiner Kinder. Am Anfang sollten die Zeiten nicht zu lange sein. Die Kinder müssen sich in kleinen Schritten daran gewöhnen, auch mal Dinge getrennt voneinander zu machen. Sie lernen dadurch:
• Vertrauen zu gewinnen,
• dass es schön ist sich wieder zu sehen
• unterschiedliche Erlebnisse miteinander zu teilen
Während der Primetime sollten nur ihre jeweiligen Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse gesehen und darauf eingegangen werden. Dadurch werden sie unabhängig voneinander, selbstbewusst und selbstbestimmt. Ihnen wird es später leichter fallen z.B. in Kita oder Schule in getrennte Gruppen oder Klassen zu gehen und eigene Freunde zu finden.
Neben den zwei Identitäten haben deine Kinder auch zwei primäre Bindungen, die sich entwickeln müssen. Eine zu ihrem Zwillingsgeschwister, die sich ja bereits im Mutterleib bildet, und eine zu ihren Eltern. Verbringst du also Primetime mit jeweils einem deiner Zwillinge, begünstigt das zusätzlich, dass dadurch deine Vater-Kind-Bindung gefördert wird.
Merke dir: Je besser die Eltern-Kind-Bindung ist, desto besser können deine Kinder eine eigene Identität entwickeln.
Meine Tipps für dich:
• Entdecke während der Primetime die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse deiner Kinder und fördere diese
• Trenne sie als Säuglinge nur zur Primetime
• Begleite und unterstütze sie bei ersten Trennungsschritten (ab ca. 2 Jahre)
• Erkläre deinen Kindern, dass sie etwas getrennt voneinander unternehmen werden und das sie nachher wieder Zeit zusammen verbringen können
• Breche nichts übers Knie: Bei starker Anhänglichkeit versuche es zu einem anderen Zeitpunkt wieder
Fakt 3: Idealbilder über Zwillinge sind völlig veraltet
Wir alle kennen die weit verbreiteten Klischees von Zwillingspaaren aus Büchern, Filmen und sozialen Medien: Die immer gleich aussehen und angezogen sind, in völliger Symbiose miteinander durchs Leben gehen, sich immer verstehen und lieben sowie gegenseitig ergänzen. Die sich selbstverständlich alles liebevoll teilen und es lustig finden mit ihrem ähnlichen Aussehen Streiche zu spielen. Die im Idealfall noch reimende oder ähnlich klingende Namen haben wie z.B. Tim und Tom, Lisa und Lena, Simon und Simone.
Folgen Eltern diesem Idealbild, dann sehen und behandeln sie ihre Zwillinge oft als eine untrennbare Einheit, statt zwei eigenständige Persönlichkeiten. Das zeigt sich z.B. in der Bezeichnung „die Zwillinge“ oder „die Beiden“, gleiche Geschenke, dieselbe Kleidung etc.
Das kann sich auf den einzelnen Zwilling jedoch sehr gravierend auswirken. Durch das Betrachten als eine Einheit werden mitunter die Unterschiede der Kinder – wie Charakter, Interessen und Talente – nicht wahrgenommen. Stattdessen werden meist unbewusst Etikettierungen vorgenommen. D.h. aufgrund fehlender äußerer Unterscheidungsmerkmale werden Eigenschaften gesucht, die oft als gegensätzliche positiv-negativ-Bewertungen ausfallen (z.B. leise-laut, lieb-frech, gut-böse). Werden diese gegensätzlichen Eigenschaftsbewertungen oft genug ausgesprochen, setzen sie sich in dem jeweiligen Kind fest. Es wird zukünftig genau diesen festgeschriebenen Merkmalen folgen.
Durch solche Etikettierungen kann neben der bedingungslosen Liebe eine tiefe innere Wut aufeinander entstehen, die sich im jungen Erwachsenenalter ausdehnen kann.
Sind Zwillinge als eine Person aufgewachsen, werden sie ab der Pubertät – wenn sie ihre eigene Identität suchen und ausleben wollen – Schwierigkeiten haben. Sie können sich nur schwer voneinander trennen. Zudem fühlen sich Zwillinge, die nicht dem Idealbild entsprechen (wollen), oft als nicht „richtige“ Zwillinge. Sie schämen sich teilweise dafür anders zu sein. Besonders, wenn sie als Erwachsene keinen Kontakt mehr miteinander haben können oder wollen, weil sie entfremdet sind.
Meine Tipps für dich:
• Behandle deine Kinder von Anfang an als zwei eigenständige Persönlichkeiten
• Sehe ihre wahren Unterschiede – erschaffe keine und bewerte nicht, wer z.B. besser oder schlechter ist
• Sprich die Kinder einzeln mit Namen an. Bitte auch Freunde und Verwandte darauf zu achten
• Nehme die unterschiedlichen Bedürfnisse deiner Kinder wahr. Fördere verschiedene Hobbies, wie bei Einzelgeschwistern
• Frage dich, in welchen Situationen die Gleichbehandlung deiner Kinder die o.g. Klischees erfüllen
Fakt 4: Bloß nicht deine Kinder vergleichen!
Als Vater von Zwillingen solltest du unbedingt darauf achten, deine Kinder nicht miteinander zu vergleichen. Auch wenn es sich nicht immer vermeiden lässt. Alle Zwillinge hassen es! Keiner möchte ständig mit einem anderen, sehr nahestehenden Menschen verglichen werden und am Ende schlechter dastehen. Wenn Außenstehende Fragen stellen wie: „Wer von euch ist größer? Besser in der Schule?“ ist das sehr nervig. Genauso Aussagen wie „Du bist aber größer, kleiner, lauter, leiser,… als dein Geschwister“. Dem ausgesetzt zu sein erzeugt zusätzlichen Stress für Zwillinge. Denn sie haben selbst schon alle möglichen komplizierten und tiefen Gefühle darüber, wie sie sich voneinander unterscheiden.
Noch schlimmer als von außen ist von den eigenen Eltern verglichen zu werden! Diese Vergleiche wirken viel intensiver auf sie und setzen sich bei ihnen tief im Inneren fest. Von diesen Bewertungen wieder weg zu kommen ist sehr schwer. Die Folge kann sein, dass es zu langfristigen Feindseligkeiten und Wettbewerb unter den Zwillingen führt.
Leider kennen Zwillinge es meist von klein auf nicht anders. Sie gewöhnen sich so sehr an die permanenten Qualitäts- und Leistungsvergleiche, dass ihnen unbewusst dieses aufgezwungene Konkurrenzdenken fehlt, wenn es einmal nicht passiert. Also vergleichen sie sich miteinander und zwar ständig! Sie bewerten ihre Ergebnisse (z.B. ich bin dicker, hässlicher, erfolgloser) und spielen diese im täglichen Miteinander – etwa bei Streitereien – aus. Das führt zu unglaublichem Stress, Perfektionismus und großer innerer und äußerer Wut. Solche antrainierten Verhaltensweisen aus der Kindheit wieder aufzugeben bzw. sie zu unterdrücken ist sehr schwer. Deshalb halten sie oft ein Leben lang an und können zu extremen Spannungen innerhalb der Zwillingsbeziehung bis zur Entfremdung führen.
Meine Tipps für dich:
• Vermeide elterliche Vergleiche und Urteile, die zu negativen Glaubenssätzen führen
• Spreche mit deinen Kindern über Vergleiche und formuliere mit ihnen positive Antworten auf beunruhigende Fragen von Fremden
• Spreche Außenstehende an, wenn sie in deinem Beisein deinen Kindern unangemessene Vergleichsfragen stellen
Abschließende Worte
Als Vater von Zwillingen hast du Einiges zu tun. Ich weiß, dass manche meiner Tipps schwerer im „Alltagsstress“ umzusetzen sind als andere. Hab keine Angst vor Fehlern – keiner ist perfekt! Wenn du die 4 Fakten beherzigst, ist das bereits eine gute Grundlage für die individuelle Entwicklung deiner Zwillingskinder – sie werden es dir danken. Dabei wünsche ich dir alles Gute sowie eine schöne, gemeinsame Zeit!
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Und bei Daddylicious gibt es auch noch mehr über Zwillinge zu lesen.
Titelbild © Canva