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Interview mit Autorin Dr. Isabell Lütkehaus über getrennte Eltern

Wir wurden seit dem Start unseres Väter-Magazins recht häufig von Vätern angefunkt, die sich gerade frisch getrennt hatten und nun Hilfe und Gleichgesinnte suchen. Bisher konnten wir da wenig Inhalt liefern, denn sicherlich ist das eine ganz besonders herausfordernde Vaterrolle, mit der wir uns bisher noch gar nicht befasst haben. Wir wissen aber, wie wichtig es ist, sich auch mit einer Trennung und den daraus resultierenden Fragen bezüglich den eigenen Kindern zu befassen. Daher lassen wir heute mal einen Profi zu Wort kommen. Achtung: es wird umfangreich und absolut lesenswert!

Hier sind unsere Fragen an:
DR. ISABELL LÜTKEHAUS, Co-Autorin des Buches „Guter Umgang für Eltern und Kinder„…

1. Wer bist Du und was machst Du?

Ich bin Mediatorin, Rechtsanwältin und Coach und arbeite u.a. mit Eltern, die nach einer Trennung gemeinsam Familie bleiben möchten. Ich ermutige sie, Verantwortung für ihre Situation zu übernehmen und unterstütze sie dabei, gemeinsame und nachhaltige Lösungen für ihre Zukunft als Familie zu finden. Zusätzlich gebe ich Ausbildungen, Workshops und Trainings zu Mediation, Coaching, Kommunikation, Verhandlung und schreibe Ratgeber, Fachbücher, Artikel.

Buch Isabell Lütkehaus

2. In Deiner Praxis triffst Du viele getrennte Eltern. Glaubst Du grundsätzlich noch an das klassische Familienmodell?

Familien befinden sich im Wandel, insbesondere in Großstädten wie Berlin und Hamburg, wo ich überwiegend arbeite. Neben immer mehr und immer früheren Trennungen, und somit wachsenden Zahlen von Alleinerziehenden und Patchwork-Familien, gibt es gleichgeschlechtliche Eltern, Elternteams und Mütter-/Väter-WGs als zusätzliche oder alternative Familienmodelle. Gerade in Großstädten, wo viele von woanders hinziehen und daher vor Ort keine Verwandtschaft haben, entstehen zusätzliche familienähnliche Konstellationen, mit Freunden, Taufpaten, Nachbarn, Au-Pairs, WG-Mitbewohnern und Leih-Großeltern. All dies hat mit dem permanenten Wandel unseres Alltagslebens zu tun, mit mehr Mobilität und Agilität. Ich arbeite ohnehin mit dem was da ist, ohne es gesellschaftlich einzuordnen oder moralisch zu beurteilen. Sollte ich eine Vermutung aufstellen, dann nicht, dass die früheren und häufigeren Trennung ein Zeichen von weniger Liebe füreinander oder geringerem Verantwortungsgefühle für die Kinder bedeuten. Sondern ich vermute, Paare trennen sich heute früher und häufiger, weil sie es können, gesellschaftlich und finanziell. Dies würde bedeuten, es gibt weniger unglückliche Paare, die zusammen bleiben („müssen“), was dann ja eine gute Nachricht wäre. Ich erlebe, dass es sich jedes Paar (mit Kindern) sehr gut überlegt, bevor es sich trennt. Nur der Kinder zuliebe zusammenbleiben kann problematisch sein, wenn ein Elternteil sehr unglücklich ist und/oder die Eltern viel streiten oder Aggressionen unterdrücken, was Kinder in aller Regel belastet. Dann kann eine Trennung für alle Beteiligten ein sinnvoller Neuanfang sein. Natürlich bedeutet diese zunächst ein drastischer Umbruch, auch und gerade für die Kinder, aber auch die Chance auf ein glücklicheres Familienleben unter neuen Vorzeichen. Paare, die zu mir in die Mediation kommen, eint bei aller individueller Unterschiedlichkeiten, der Wunsch, auch nach der Trennung weiterhin Familie zu bleiben. Unabhängig davon gibt es weiterhin zahlreiche Paare, die zusammen leben bleiben, gemeinsam unter einem Dach für ihre Kinder da sind, und sich in diesem Modell sehr wohl fühlen.

3. Meist sucht man erst dann Lösungen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Was rätst Du Eltern, die sich trennen?

Jede Familie, jedes Paar, jede Trennung ist unterschiedlich, daher halte ich mich mit Ratschlägen zurück, zumal dies auch nicht zu meinet Aufgabe als allparteiliche Mittlerin passt. Hilfreich kann, wenn möglich, ein frühzeitiger Abgleich sein, über die jeweiligen Erwartungen und Ideen für gute Lösungen zum Wohle von Eltern und Kindern. Merken die Eltern, dass sie momentan nicht gut miteinander sprechen können, was aufgrund der trennungsbedingten Verletzungen nur allzu menschlich ist, dann kann es eine hilfreiche Idee sein, frühzeitig Dritte einzubeziehen, zum Beispiel Mediatoren. Mediatoren leiten den Prozess und die Eltern finden eigenverantwortliche Regelungen. Sollte ein Elternteil oder beide mit der Trennungssituation aktuell überfordert sein und für sich selbst gerade nicht gut einstehen können, dann kann eine Fachberatung, zum Beispiel durch eine Familienberatungsstelle oder das Jugendamt, eine Familienhilfemaßnahmen oder auch der Gang zum Familiengericht gut sein. Ich möchte Eltern ermutigen, für sich die passende Hilfe zu suchen, nach Unterstützung zu fragen und diese auch gut annehmen zu können. Es ist keine Schande, ein Gericht aufzusuchen, wenn man alleine derzeit keine Lösung findet. Wir können froh sein, dass wir gut funktionierende Gerichte haben und diese können mit einer ersten Regelung zunächst zu einer Entlastung und Deeskalation verhelfen. Mittelfristig können Eltern dann versuchen, eigenverantwortliche Regelungen gemeinsam zu erarbeiten, alleine oder im Rahmen einer Mediation.

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4. Oft steckt gerade der Papa zurück, weil sich das eben so gehört. Was muss passieren, damit sich Verhaltensmuster ändern?

Idealerweise spiegelt eine Umgangsregelung nach der Trennung die Betreuungsverteilung vor der Trennung wieder, bei manchen Eltern ergibt sich durch die Trennung auch eine Verschiebung in die eine oder andere Richtung. Bereits allein durch die räumliche Trennung geschieht eine Veränderung insofern, dass der Umgang nicht mehr natürlich und zufällig stattfindet, sondern geplant werden muss und daher oft „en block“ erfolgt. Also beispielsweise Freitagnachmittag bis Sonntagabend durchgehend, und nicht mal hier und da kurz einkaufen gehen, ne Stunde zusammen Hausaufgaben oder ein gemeinsames Essen.

Meine Erfahrung zu der Frage, ob der Papa oft zurücksteckt, ist nicht repräsentativ, weil ich vor allem die Erfahrung von Großstädten wie Berlin und Hamburg mitbringe. Insbesondere in Berlin teilen sich immer mehr Eltern bereits während der Beziehung die Betreuung und führen diese Verteilung auch anschließend fort. Bei vielen klappt das wunderbar und über diese Beispiele liest man wenig. In meinen Mediationen ist das Wechselmodell oder zumindest die nahezu hälftige Aufteilung der Betreuungszeiten das überwiegende von beiden Eltern gewünschte Umgangsmodell, was aber auch daran liegt, dass ich einen entsprechenden Ausschnitt der Bevölkerung als typische Klienten anziehe. Bei diesen Paaren übernehmen die Väter schon während des Zusammenlebens einen großen Anteil der Erziehung, haben ihr berufliches Leben daher ohnehin entsprechend ausgerichtet, und dieses Modell wird nach der Trennung dann konsequenterweise fortgesetzt. 

Sollte es allerdings zwischen den Eltern zu Streitigkeiten kommen, so kann es ab einer gewissen Eskalationsstufe passieren, dass es nicht mehr um das Finden sachgerechter Lösungen zum Wohle der Kinder und Erhalt der Familie geht, sondern um einen Kampf, einschließlich entweder harten Positions-Verhandelns oder gar versuchter „Bestrafung“ des anderen, zum Beispiel für seinen/ihren Weggang. Dann ist es, bei aller Gleichstellung und natürlich einigen Ausnahmenfällen, weiterhin meistens so, dass die Mutter die Kinder und der Vater das Geld in die Waagschale werfen und sie sich an dieser Stelle gegenseitig blockieren. Dies kann sich vermutlich nur ändern, wenn sich unsere Lebensrealität vor Trennungen weiter ändert, z.B. die Aufgabenverteilung im Haushalt, die Rolle der Väter bei der Kindererziehung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Elternteile, die Angleichung von Löhne und Rentenansprüchen. Und nach der Trennung eine finanzielle Förderung und steuerliche Entlastung erfolgen – von alleinerziehenden Vätern und Müttern, von Familien in allen Formen und Gestalten, von Menschen, die umfassende Verantwortung für Kinder tragen.

5. Wie können die Kinder am besten auf die neue Situation vorbereitet werden? Und welche Rolle spielt dabei Geschlecht und Alter der Kinder?

Für Kinder, selbst wenn sie bereits ahnen, dass die Eltern nicht mehr sehr glücklich mit einander sind, beginnt die tatsächliche Trennung erst, wenn die Eltern sie darüber informieren. Daher ist es sehr wichtig, dass dieses Trennungsgespräch gut vorbereitet und durchgeführt wird und ein passender Zeitpunkt sensibel gewählt wird. Beispielsweise sollte mit den Kindern gesprochen werden, bevor Verwandte oder Lehrer/Erzieher von der Trennung wissen, oder wenn, beispielsweise durch Umzug eines Elternteils ins Gästezimmer oder sehr häufiger Abwesenheit, deutlich erkennbar wird, dass sich etwas geändert hat. Idealerweise führen beide Eltern das Gespräch gemeinsam und weisen auf konkrete Perspektiven in Sachen Umgang hin, also wann das Kind welchen Elternteil wo zukünftig sehen wird. Dies fängt Ängste des Kindes auf, einen Elternteil zu verlieren, und fördert das Gefühl von Kontinuität und Geborgenheit. Idealerweise findet das Gespräch an einem ruhigen Wochenende statt, wenn beide Eltern auch anschließend da sind und Zeit haben, emotionale Reaktionen aufzufangen und für Fragen zur Verfügung zu stehen. Zum Geschlecht kenne ich keine Untersuchungen, in aller Regel sind beide Elternteile für alle Kinder auf ihre Art wichtig und sollte die jeweilige Elternbeziehung erhalten bleiben, in vergleichbarem Umfang wie vor der Trennung. Das Alter der Kinder bei Trennung ist wichtig für das Bindungsverhalten sowie das Zeitempfinden des Kindes hinsichtlich eines Umgangsmodells. Die Beziehungen zu den Eltern spielen bei Kindern eine unterschiedliche Rolle je nach Alter; es macht einen Unterschied, ob das Kind erst drei Jahre alt ist oder bereits 17. Je jünger die Kinder, desto weniger können sie die Trennung rational verstehen und desto mehr wünschen sie sich, dass die Eltern für immer ein Paar bleiben. Stets ist die Trennung ein gewichtiger Einschnitt und kann als Schock erlebt werden, daher ist das Auffangen so wichtig, emotional und mit einer klaren Perspektive auf den zukünftigen Umgang. Auch die Begründung für die Trennung sollte dem Alter des Kindes angepasst werden. Immer ist hierbei wichtig dem Kind deutlich zu machen, dass es sich um eine Angelegenheit zwischen den Eltern handelt, diese dafür Verantwortung übernehmen und dies gut hinbekommen werden. Und dass die Familie in neuem Gewand erhalten bleibt. Eine gute Umgangsregelung ist hierbei das Fundament für gemeinsame schöne Erlebnisse der Kinder mit ihren Eltern.

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6. Was ist aus Deiner Sicht eine für das Kind und die Eltern gute Umgangsregelung?

Eine gute Umgangsregelung umfasst Bestimmungen zum Schul-/Kita-Alltag, Regelungen für Ferien/Schließzeiten, Urlaubsverteilung, Feiertage, Geburtstage und Notfallregelungen (Eltern krank, dringender Auswärtstermin, Kind krank). Eine gute Umgangsregelung erfüllt die zentralen Bedürfnisse von Kindern, und zwar Geborgenheit, liebevolle Beziehungen und Beständigkeit. Eine gute Umgangsregelung ist so nah wie möglich am Umgang vor der Trennung, um das größtmögliche Maß an Kontinuität zu wahren. Alltags-Rituale sollten nach Möglichkeit beibehalten werden, denn sie schaffen Sicherheit und Vertrauen. Die Regelung ist klar und verlässlich, damit sich das Kind geborgen fühlt und kommt dessen Bedürfnis nach gemeinsamer Zeit mit den Eltern nach, um im Rahmen von gemeinsamen Erlebnissen liebevolle Beziehungen zu leben. Bei mehreren Kindern sieht sie auch mal einzelne Zeit vor, was sich unter einem Dach natürlich ergibt aber nach der Trennung geplant werden muss. Und die Umgangsregelung ist praktikabel, d.h. sie passt in den Zeitplan der Eltern und den der Kinder. Eine Umgangsregelung, die beide Eltern in die Erschöpfung treibt, ist nicht gut, auch wenn sie ganz viel Zeit mit den Kindern vorsieht. Im Sinne der Kontinuität ist es außerdem sinnvoll, dass andere enge Bezugspersonen, z.B. (Leih-)Großeltern, Babysitter, Nachbarn, Paten weiterhin in ähnlichem Umfang einbezogen werden, und, zur Entlastung der Eltern, ggf. zusätzliche Unterstützung eingeholt wird. Eine von Eltern selbst erstellte Umgangsregelung kann deren individuellen Alltag gerecht werden; sie wird anders aussehen, wenn beide Eltern Beamte sind als bei Freiberuflern und Künstlern. Manche Eltern können langfristig planen, andere müssen sich je nach Auftragslage wochenweise oder gar tageweise abstimmen. Eine Formel hat sich in meiner Praxis bewährt: Je weniger gut sich die Eltern momentan verstehen und je anstrengender Kommunikation und Absprachen sind, desto starrer sollte die Regelung zunächst sein, um Reibungspunkte und Diskussionen zu vermeiden. Verstehen sich die Eltern (wieder) gut, dann sind auch Absprachen auf Zuruf und spontane Ausnahmeregelungen (wieder) möglich und können sinnvoll sein, um den Unwägbarkeiten des Alltags gerecht zu werden.

7. Wie finden Eltern zu dieser Umgangsregelung?

Vielen Eltern gelingt es sehr gut, diese miteinander auszuhandeln, entweder zu zweit am Küchentisch oder mithilfe eines Mediators. Sind Eltern sich zunächst unsicher, wie eine gute Regelung aussehen könnte, dann hilft, sich zunächst für ein Modell entscheiden und es ausprobieren, zum Beispiel für drei Monate, und sich anschließend erneut zusammenzusetzen und die Erfahrungen und Eindrücke abzugleichen. Sollte all dies gerade aufgrund der akuten krisenhaften Situation nicht gut möglich sein, dann kann eine gerichtliche Entscheidung vorübergehend Entlastung bedeuten. Bis die Eltern ihre Verantwortung wieder selbst gut übernehmen und eigene Regelungen finden können.

8. Und was tue ich, wenn ich die aktuelle Regelung verändern möchte?

Zunächst würde ich den anderen Elternteil um ein Gespräch bitten, nicht bei der Kindesübergabe sondern zu einem gesonderten Termin, irgendwo in Ruhe – ohne Zeitdruck und ohne Kinder. Dann erkläre ich, warum die aktuelle Regelung für mich nicht mehr gut passt und dass ich, so ergebnisoffen wie möglich, eine neue gemeinsame Regelung finden möchte, die für alle gut passen wird. Wichtig ist es, hier nicht die Kinder einzubeziehen, um einen Loyalitätskonflikt zu vermeiden. Äußert ein Kind gegenüber einem Elternteil Änderungswünsche, dann sollte man dies ernst nehmen und ihm sagen, dass man mit dem anderen Elternteil darüber sprechen und gemeinsam eine Lösung finden wird. Ab einem gewissen Alter, spätestens der Pubertät kann es sinnvoll sein, die Kinder selbst (mit-)entscheiden zu lassen, wann sie wo leben wollen. Sollte ein ruhiges Gespräch zur Umgangsänderung zwischen den Eltern aufgrund der aktuellen Beziehungssituation nicht möglich sein, können Erziehungsberatungsstellen oder Mediatoren zur Unterstützung herangezogen werden. Wenn derzeit kein gemeinsamer Weg erkennbar ist, hilft der Gang zum Gericht. Familiengerichte wirken insbesondere in Umgangsfragen zunächst ebenfalls auf eine Einigung hin, schlagen eine Beratung oder Mediation vor oder eine Unterstützungsmaßnahme wie zum Beispiel Begleiteter Umgang.

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9. Oft entscheiden sich Eltern für das Wechselmodell. Wie stehst Du dem gegenüber?

Ich plädiere für eine individuelle Betrachtung der jeweiligen Situation, des Alltags der Eltern, z.B. die berufliche Situation, wie weit sie auseinander wohnen, wo Schulen und Kitas sind, und nicht zuletzt die Persönlichkeit der Kinder. Es gib Kinder, die kommen mit zwei Wohnsitzen sehr gut aus und es gibt welche, die finden den Wechsel im Alltag belastend. In meiner Praxis, die bestimmt nicht repräsentativ ist, entscheiden sich sehr viele Eltern fürs Wechselmodell oder eine nahezu hälftige Betreuung. In erster Linie, weil dies auch ihrer Betreuungsverteilung vor der Trennung entspricht und beide Eltern ihr Leben ohnehin bereits danach ausgerichtet haben. Idealerweise probieren die Eltern die gefundene Regelung, ob Wechselmodell oder eine andere, zunächst für ein paar Monate aus, und besprechen anschließend ihre Erfahrungen, um ggf. nachzubessern. Ob das Wechselmodell eine gute Idee ist, hängt von ganz vielen Faktoren ab und kann nicht abschließend vorher geklärt werden, da für alle die Situation ja neu ist. Nicht beurteilen kann ich, ob ein gerichtlich oder gesetzlich vorgegebenes Wechselmodell, wie es derzeit öffentlich diskutiert wird, eine gute Idee ist. Ich würde den Einzelfall betrachten wollen und die Eltern so weit es geht in die Gestaltung einbeziehen. Das Gegenargument, beim Wechselmodell müsse man sich besonders gut verstehen, würde mir allerdings nicht reichen. Vielmehr denke ich, bei allen Umgangsmodellen ist es hilfreich, wenn die Eltern kooperieren und gut miteinander kommunizieren können, und wenn dies momentan nicht geht, dann finden sie dennoch einen Weg, beide Eltern zu bleiben, im Rahmen jedes jeweiligen Modells. In angespannten Situationen können kritische persönliche Übergabesituationen vermieden werden, beispielsweise durch Wechsel in Kita/Schule statt am Wochenende oder durch die Unterstützung von Großeltern/Nachbarn/Freunden. Es können (online) Umgangstagebücher statt Telefonaten geführt werden und eher starre Regelungen vereinbart werden, die wenig Raum für Diskussionen lassen. Selbst bei hochstreitigen Eltern erlebe ich oft, dass sie, wenn es darauf ankommt, beispielsweise weil ein Kind krank wird, gut kooperieren und für beide das Kind da sind. In einigen Ländern wird das Wechselmodell seit einigen Jahren nach der Trennung als Regelfall praktiziert, und es wird spannend zu sehen, was dies mit den Eltern und Kindern längerfristig macht. Manchmal erinnert mich die Diskussion um das Wechselmodell an die zum Sorgerecht. Vor einigen Jahrzehnten war es noch eine Ausnahme, dass Eltern nach der Trennung gemeinsame Sorge für die Kinder behalten, heute ist es der selbstverständliche Regelfall und klappt in den meisten Fällen ganz wunderbar. Es ist denkbar, dass der Weg für das Wechselmodell auch in diese Richtung geht.

10. Gibt es Checklisten und Vorlagen, die bei der Klärung der Situation unterstützen können?

In unserem Buch „Guter Umgang“ gibt es mehrere Checklisten:

– Vorbereitung und Durchführung des Trennungsgespräch

– Kennzeichen guter Umgang

– Übergabe

– Regelungspunkte Umgangsregelung (und hierzu auch ein Muster)

– Organisation Umgang

– Regelungspunkte Elternvereinbarung

– Regelungspunkte Scheidungsfolgenvereinbarung

Über das Trennungsgespräch habe ich in einem anderen Blog einen Beitrag samt Checkliste geschrieben, hier findet Ihr die Info bei Edition F.

11. Uns würde interessieren, wie sich aus Deinem Blickwinkel der Mediatorin die Vaterrolle in den letzten Jahren verändert hat.

Väter nehmen stetig wachsende Rollen im Leben der Kinder auch bereits vor der Trennung ein und richten ihr berufliches und privates Leben entsprechend danach aus. Dies hat sinnvollerweise auch Auswirkungen auf das Umgangsmodell nach der Trennung, nicht zuletzt aus Gründen der Kontinuität und Beständigkeit. Ich wünsche allen Vätern, die sich während der Beziehung in großen Umfang und mit ganz viel Liebe engagieren, dass dies auch nach der Trennung in vergleichbarem Umfang weitergelebt werden kann. Und ich wünsche  Müttern, dass sie die Trennung auch als Chance sehen, neue Umgangsmodelle zu leben, als Möglichkeit, die Väter nach der Trennung mehr in die Betreuung einzubeziehen, und dies als Ergänzung, Bereicherung und nicht zuletzt Entlastung zu sehen. Auch im Interesse der Kinder, die in aller Regel beide Eltern in ihrer Unterschiedlichkeit lieben und mit jedem Elternteil schöne gemeinsame Zeit verbringen möchten.

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12. Besonders interessant zum Thema Trennung ist Dein neues Buch „Guter Umgang…“. Worum geht es darin?

In meiner Arbeit als Mediatorin mit Trennungspaaren sind mir bei allen individuellen Unterschieden immer wieder dieselben Fragestellungen, Ängste und Unsicherheiten bei Eltern sowie Sorgen, Belastungen und Herausforderungen für die Kinder begegnet. Um Eltern hilfreiche Orientierung und praktische Unterstützung zu bieten, damit sie auch nach der Trennung Familie bleiben können, habe ich gemeinsam mit Thomas Matthäus den Ratgeber „Guter Umgang“ geschrieben. Er behandelt in neuartiger Weise den Umgang von Kindern getrennt lebender Eltern mit dem abwesenden Elternteil sowie den Umgang der oft im Streit liegenden Eltern miteinander zum Wohl der Kinder. Berücksichtigung finden praktische, pädagogische und psychologische Aspekte und zahlreiche Erfahrungsberichte und Interviews mit Eltern, Kindern und Experten. Beispielsfälle aus unserer langjährigen Praxis, Checklisten und Muster bieten konkrete Hilfestellungen an und gestalten den Ratgeber alltagstauglich und praxisnah.

Am 16. Mai um 18:30 Uhr veranstalten wir einen Workshop mit Diskussion und Fragerunde zum Thema „Wege zu gutem Umgang“ im Väterzentrum Berlin.

Liebe Isabell, vielen Dank für diese umfangreichen Einblicke und nützlichen Informationen. Damit hast Du unseren Lesern sehr weitergeholfen!

Fotos oben und Mitte © Swen Siewert // unten © Susan Meinl

Kai Bösel
Kai Bösel
Kai Bösel ist Patchwork-Dad von drei Kindern, die eigene Tochter Mika ist im April 2012 geboren. Der Hamburger ist Online-Publisher und betreibt neben Daddylicious auch das "NOT TOO OLD magazin" inklusive Podcast. Außerdem schreibt er für ein paar Zeitschriften und Magazine und hilft Kunden und Agenturen als Freelance Consultant. Nach dem Job entspannt er beim Laufen oder Golf.

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