„Es ist nur eine Phase“ ist ein sehr beliebter Spruch von Eltern, um sich zu beruhigen und sich vor Augen zu führen, dass Alles irgendwann mal vorbei ist. Das kann sich bei der vielbeschriebenen Trotzphase aber durchaus lang und kräftezehrend hinziehen. Wer sich schon mal auf diese wilde Zeit eingrooven möchte, dem sei das Buch „Immer darf ich alles nie“ vom Autor Matthias Jung empfohlen. Darin beschreibt er Ausprägungen von Kindern zwischen etwa ein und sieben Jahren, also von der Trotzphase bis zur Wackelzahnzeit. Der Familiencoach und Pädagoge weiß, wovon er spricht, denn er hat selbst zwei Kinder zuhause. Wir haben ihn gebeten, uns mal einen kleinen Einblick ins Buch und sein Familienleben zu geben. Hier ist sein großartiger Beitrag.
Mein 13-jähriger Sohn sagte gestern zu mir: „Ich hasse dich!“ Ja, ich habe es deutlich gehört. Was ist da denn los? Ist er kaputt? Ein Leben lang habe ich Alles für ihn getan und jetzt das. Ich lese nach. Die Kunst ist es wohl, diese verbale Entgleisung nicht persönlich zu nehmen. So wird es in den pädagogischen Büchern gefordert. Nicht persönlich nehmen! Aha. Aber das ist ziemlich schwer, wenn das Kind gerade ausrastet, austickt und uns beleidigt, weil es nach all den Jahren weiß, welchen Knopf es bei uns drücken muss.
Vielen Eltern helfen hier nur Atemübungen beim offenen Fenster oder wie eine Mutter betonte: „Ich hätte ja nie gedacht, dass man die Atemübungen aus dem Geburtsvorbereitungskurs 10 Jahre später braucht!“ Ehrlich gesagt, muss man auch als Vater Senkwehen wegatmen – und dies wohl ein Leben lang und von Anfang an.
Seien wir gnädig mit uns, denn es wird bei der Geburt nicht nur ein Baby geboren, sondern auch ein Vater und eine Mutter. Und: Wir machen an jedem Tag Alles zum ersten Mal. Wir erziehen uns dabei oft um Kopf und Kragen und gehen abends ins Bett mit dem Bewusstsein: „Das war heute wieder ein Mist!“ Aber dann denkt man schnell: „Morgen ist ein neuer Tag. Da könnte es genauso beschissen laufen!“ Das nimmt jeglichen Druck. Lassen wir uns positiv überraschen.
Wenn man ein Kind bekommt, beginnt wirklich die „Prime time des Lebens!“ Es ist nicht so wie im Schwimmbecken. „Wenn man erst mal drin ist, dann geht‘s! Nein, man muss direkt wieder raus und wird ins nächste kalte Wasser geschmissen. Es gibt keine Probephase für Erziehung, kein Seepferdchen, kein Feedbackgespräch und keinen Führerschein. Und wenn der Tragetuchführerschein kurz Abhilfe geschafft hat, steht schon die nächste Phase vor der Tür – und wir im nächsten kalten Wasser.
Wir geben in der Erziehung unser Bestes und versuchen mit unseren Kindern dabei stets in Beziehung zu gehen. Aber spätestens in der Pubertät merkt man, dass es eine Fernbeziehung wird, obwohl man im selben Haus wohnt. Unser Kind wird sich mit den Jahren immer mehr und mehr von uns abnabeln. Im Bauch sind sie den Müttern am nächsten, ab dann schleichen sie sich immer mehr davon, bis sie mit 12 Jahren erstmal komplett in ihrer Höhle verschwinden. Zwischendurch kommen sie raus und fordern immer wieder Geld. Willkommen zur Show: „Bares und Rares!“
Das erste Abnabeln beginnt schon früh: Nach 2 Jahren kommt bereits der eigene Wille langsam zum Vorschein. Die Ich-Werdung und Suche nach der Persönlichkeit beginnt. Aber muss das schon am frühen Morgen sein? Ich will es mal so formulieren:
Tiere riechen, wenn man Angst hat. Kinder riechen, wenn man es eilig hat. Eine der Königsdisziplin des Eltern seins: Rechtzeitig zur Kita. Als wir mal besonders spät dran waren, meinte meine Smart Watch nachdem ich meiner Tochter die Strumpfhose angezogen hatte sogar, ich hätte mein Tages-Workout erreicht … Dann war sie fertig angezogen und ich stelle ihr die falschen Schuhe hin. Wutausbruch. Sie rennt ins Zimmer und zieht sich wieder aus. Komplett. Man sucht sich gedankliche Entspannungsinseln. Für mich ist es immer ein gutes Gefühl, wenn ich das Kind angeschnallt im Auto habe. Ein Freund sagt sogar, er genießt sogar den kurzen Weg ums Auto rum, um kurz durchzuschnaufen.
Es ist die erste Unabhängigkeitserklärung unserer Kinder. Es werden einige dazukommen. Wir erziehen fleißig immer der Phase nach, bis wir zum Endgegner, der Pubertät, angekommen sind. Ein ewiger Kreislauf mit der „schlechten“ Laune der Natur: Meinem Kind.
Wie gehe ich jetzt als Vater mit dem Kind um?
Es immer zur Mutter schicken, ist auch keine Lösung. Wie schaffe ich entspannt zu sein? Ich war letztens in der Badewanne. Das war als Entspannung gedacht, aber meine Tochter kam rein und ruck zuck hatten 15 Barbies ihr Seepferdchen.
Schaut ab und an nach euren Bedürfnissen. Schaut nach euren Kindern. Ich weiß, die Tage sind oft lang. Aber glaubt mir, die Jahre sind kurz. Schnell werden sie älter und verschwinden im Zimmer, lassen stets die Fenster geschlossen und wir erleben Bettwanzen, die Asthma entwickeln.
Genießt eure Kinder! Und seid lebendige Väter.
Denn das ist das, was unsere Kinder brauchen:
Sie brauchen keine Bilderbuch-Eltern, sie brauchen Wimmelbuch-Eltern!
Das gilt für alle Phasen der Elternschaft: Seid so wie ihr seid – Eltern sind auch nur Menschen und haben Stärken und Schwächen. Zeigt eure Grenzen auf, denn so kann euer Kind seine auch sehr gut kennenlernen.
Und selbst wenn ihr mal Fehler macht und euch dafür aufrichtig entschuldigt, lernt euer Kind gleich, dass das zum Leben dazu gehört. Und bitte: Lacht auch mal über Euch, lacht mit eurem Kind, das schafft Nähe und Verbindung.
Ich habe letztens meinem Sohn gebeten, dass er auf die Milch aufpassen soll. Ich musste nämlich aufs Klo. Ich kam vom Klo zurück. Er hat gezockt. Aber wir hatten Glück: Die Milch ist nicht übergekocht, denn Papa hat vergessen die Platte anzumachen.
Jetzt haben wir gelacht, aber was sage ich denn nun, wenn mein Sohn mich mit „Ich hasse dich!“ so beleidigt. Erstmal beruhigen wir uns, denn Kinder pubertieren nur, wenn Sie sich geliebt fühlen und aus den ersten Jahren eine stabile Bindung entstanden ist. Also erstmal: Gut gemacht!
Und sonst? Ganz einfach. Ich antworte: „Ich liebe dich!“
Lieber Matthias, vielen lieben Dank für deine persönliche Story und die aufmunternden Worte.
Wer mehr wissen will, dem können wir sein Werk mit dem Untertitel „Erste Hilfe für Familien,
die die Phase voll haben“ dringend ans Herz legen. Das ist ein informatives und sehr unterhaltsames Buch mit wertvollen Hinweisen und voller Wortwitz. Mit Spaß kommt man schließlich immer noch am besten durch jede Phase. Hier ist außerdem der Link zu seiner Website mit weiteren Infos.
Infos zu „Immer darf ich alles nie“ von Matthias Jung
- Autor: Matthias Jung
- Herausgeber: Kösel-Verlag
- Erscheinungstermin: 2. Oktober 2024
- Umfang: 256 Seiten
- Maße: 13.5 x 1.9 x 21.5 cm
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