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Gastbeitrag: Betrifft Schulstress nur Kinder? Oder auch ihre Eltern?

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In konkurrenzorientierten Wissens- und Leistungsgesellschaften scheinen Stress-, Erschöpfungs- und Burnout-Phänomene zu epidemischen Problemen zu werden. Während noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts körperliche (Verschleiß-)Probleme typische Berufskrankheiten waren, sind in den letzten 30 Jahren vor allem psychische Erschöpfungs- und Depressionsphänomene auf dem Vormarsch. Dies gilt gleichermaßen für Erwachsene und Kinder bzw. Jugendliche.

In Folge eines Wandels der elterlichen Lebensführung hin zu einem ‚kindzentrierten Familienleben‘ (vgl. Nave-Herz 1997) hat sich die psychosoziale Belastung von Eltern verdoppelt: Neben den eigenen, wirken auch die Belastungen und Anforderung der Kinder auf die Eltern ein.

Der ‚Bildungsdruck‘ steigt in allen sozialen Milieus (vgl. Huthmacher et al. 2008). Über schulische Anforderungen hinaus, nehmen dabei auch die (privaten) Bildungsinvestitionen von Eltern massiv zu (vgl. Wild/Walper 2015). Praktisch allen Untersuchungen zufolge hat der Anteil der Eltern, die sich in Fragen einer ‚optimalen‘ Erziehung informieren sowie keine Kosten und Mühen scheuen, um ihren Kindern eine möglichst aussichts- und erfolgreiche berufliche Perspektive zu ermöglichen, ein historisches Rekordmaß erreicht (vgl. Wild/Walper 2015). Dabei spielt es durchaus auch eine Rolle, dass Eltern versuchen ihrem Kind so früh wie möglich ‚Wettbewerbsvorteile‘ zu sichern (dazu: Henry-Huthmacher et al. 2008). Die kompetitive Leistungsgesellschaft ist damit in den Kinderzimmern angekommen.

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Wenig verwunderlich ist, dass nicht nur das Ausmaß elterlicher Erziehungs- und Förderungsbemühungen einen Rekordstand erreicht, sondern auch das Ausmaß, in dem Eltern unsicher sind, ob ihre Bemühungen ausreichen und sie ihre Elternrolle ‚richtig‘ ausführen.

Wie die Ergebnisse der Stress-Studie der Bepanthen-Kinderförderung zeigen, erwarten mehr als drei Fünftel der Eltern von ihren Kindern, dass sie zu den besseren SchülerInnen gehören. Das ist durchaus rational und den Eltern ist individuell sicherlich nichts vorzuwerfen. Es verwundert nicht, dass aus der Perspektive der Kinder – die in ihrer übergroßen Mehrheit schon sehr früh darauf bedacht sind ihre Eltern nicht zu enttäuschen – der Erwartungsdruck ihrer Eltern eine nicht zu unterschätzende Stressquelle darstellt. Dieser Stress ist nicht förderlich.

Stress ist die Erfahrung, dass die eigenen Handlungsfähigkeiten nicht ausreichen, um den Erwartungen – genauer den erwarteten Erwartungen – gerecht zu werden. Diese belastende Erfahrung wirkt sich u.a. auf den Selbstwert, auf zwischenmenschliche Beziehungen und auf den Körper eindeutig negativ aus. Zugleich nimmt das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit, Probleme zu lösen, ab.

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Schulische Anforderungen und Belastungen sind dabei eine erhebliche Ursache von Stress. Dies soll im Folgenden mit Ergebnissen der diesjährigen Stress-Studie 2015 der Bepanthen-Kinderförderung verdeutlicht werden.

In der Stress-Studie wurden 1.100 Kinder und Jugendliche von 6-16 Jahren sowie deren Eltern interviewt. Die nun dargestellten Befunde zeigen die Elternperspektive von Grundschulkindern.

Insgesamt berichten mehr als 27% der Eltern, dass ihre Kinder wegen der Schule oft gestresst seien und etwa 14%, dass es durch die Schule oft Streit in der Familie gibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der Eltern von einem harmonischen Familienleben berichten. Wenn es jedoch Streit in der Familie gibt, scheint die Schule oft eine Rolle zu spielen.

Schulbezogener Stress und Streit nimmt mit dem Alter der Kinder zu. Im Falle von 11-jährigen Kindern berichten 46% der Eltern, dass ihr Kind wegen der Schule (sehr) oft gestresst sei. Eltern, die von schulbezogenem Stress ihrer Kinder sprechen, berichten signifikant häufiger von Streit und Problemen in der Familie. Darüber hinaus geben sie auch eine deutlich verringerte eigene Lebenszufriedenheit an.

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Sie berichten deutlich häufiger, dass sie das Elternsein stresst und sie ihre eigenen Erwartungen an eine Erziehung nicht erfüllen. Sie berichten häufiger von Einschlafproblemen, Albträumen, Kopfschmerzen und einer allgemeinen Besorgnis über die eigene Gesundheit und von gesundheitlichen Problemen in der Familie. Sie berichten wesentlich häufiger über Ängste und Sorgen, die sie immer wieder einholen sowie über Erschöpfung und Niedergeschlagenheit und insgesamt von einer reduzierten Lebensqualität. Außerdem machen sie sich Sorgen, ihr Kind nicht genug zu fördern. Im gleichen Zuge denken sie aber häufig auch, dass sie ihr Kind überfordern.

Das Dilemma ist, dass genau diese Aspekte mit einer Tendenz zur Bestrafung von Kindern einhergehen, was wiederum den Stress der Kinder erhöht. Bemerkenswert ist, dass die Förderung der Kinder eine hohe finanzielle und zeitliche Anstrengung für die Eltern darstellt und sie sich wünschen, dass es ihren Kindern einmal besser geht, als der eigenen Familie heute.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass schulbezogener Stress von Kindern eine deutliche Belastung für Kinder, aber auch für ihre Eltern darstellt. Die Beantwortung der Frage, was Eltern tun können um diese Belastung zu reduzieren, ist schwierig. Kinder nicht zu fördern ist keine ernsthafte Option. Eltern zu raten die Erziehung ‚entspannter‘ zu nehmen ist sicherlich nicht falsch. Dies ist jedoch eine große Herausforderung: die Gesellschaft ist eine konkurrenzbasierte Leistungsgesellschaft und Eltern wissen, dass bereits im frühen Kindesalter Wettbewerbsvorteile verteilt werden. Auch Anti-Stresstrainings (vgl. Beyer/Lohaus 2006) sind inzwischen gut etabliert und durchaus wirksam, allerdings ist die Effektstärke mit Blick auf Stressreduktionen moderat.

Möglicherweise ist Stress von Kindern (und von Eltern) ein Preis den Familien dafür zahlen, dass wir die konkurrenzfähigste Gesellschaft der Welt werden (oder bleiben) wollen und entsprechend alles dafür tun, das Humankapital der nachwachsenden Generationen zu vergrößern und den Kampf um die klügsten Köpfe zu gewinnen. Wer möchte denn nicht, dass die eigenen Kinder zu diesen klügsten Köpfen gehören? Möglicherweise braucht es eine ernsthafte gesellschaftliche Debatte darüber, ob der Erfolg in diesem Wettbewerb, den Preis den man dafür zu zahlen hat wert ist – ich glaube nicht, dass verbesserte Elternratgeber die Notwendigkeit dieser Debatte verhindern können.

Quellen:
Nave-Herz, Rosemarie (1997): Pluralisierung familialer Lebensformen – ein Konstrukt der Wissenschaft? In: Vaskovics, Laszlo (Hg.): Familienleitbilder und Familienrealitäten, Opladen: Leske + Budrich, S. 36-49

Henry-Huthmacher, Christine et al. (2008): Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten. Stuttgart: lucius & lucius

Wild, Elke/Walper, Sabine (2015): Familie. In: Wild, Elke/Möller, Jens (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 227-259

Beyer, Anke/Lohaus, Arnold (2006): Stressbewältigung im Jugendalter. Ein Trainingsprogramm. Göttingen: Hogrefe Verlag

Fotos: © Bayer HealthCare Deutschland (Bepanthen-Kinderförderung)

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