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Gastbeitrag: Vernunft in der Unvernunft

Frühjahr…. Eine Jahreszeit, der ich in den letzten acht Jahren mit seeeeehr gemischten Gefühlen entgegen sah. Die ersten Sonnenstrahlen erwärmen die Landschaft, die Krokusse strecken die Blüten aus der Wiese und da kommt er. VVVVVROOOOMMMMMM mit einem satten Twin-Sound hebelt sich eine Ducati auf der Gegenfahrbahn durch die Kurve, ich bilde mir ein, den verzückten Ausdruck in den Augen des Fahrers sogar im Vorbeifahren gesehen zu haben.

Und da ist es wieder. Ich muss reflexartig ganz tief einatmen und mir entfleucht ein nicht unterdrückbarer Seufzer, der von meiner Holden prompt mit einem zornigen Blick geahndet wird. Ja ich weiß, ich bin 4-facher Vater, aber auch leidenschaftlicher Kradler. Ich machte mit 18 Auto und kurz danach Motorradführerschein, was mich als Abiturient finanziell an den Rand meiner Möglichkeiten brachte. Aber egal, kurze Zeit später nannte ich eine SR500 mein eigen und brummelte mit dem Einzylinder durch die Landschaft und fühlte die Freiheit des easy riding.

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© cottonbro (Pexels)

Mehrere Motorräder später endete es mit einem naked bike, der Yamaha XJ1300SP. Fast 1300ccm Hubraum, absolut satter Durchzug, keine störende Verkleidung, ein Moped für echte Männer, nicht für Weicheier. Am Ortsausgang im 5. Gang mit 50 Km/h im Sattel umdrehen, dem am Auspuff hängenden 911er noch mal nett zuwinken und angasen und tschüss. Ja klar, ich weiß, völlig kindisch, aber unbezahlbar. Leider war der Rover, der die Einbahnstraße in falscher Richtung durchfuhr stabiler als mein Motorrad und nur ein beherzter Sprung auf seine Motorhaube rettete mich vor größeren Blessuren. Vor der Kaltverformung galt für die Yamaha Bestandsschutz, aber der Unfall veranlasste mich das Hobby stecken zu lassen und das Risiko zugunsten der damals drei vorhandenen Kinder nicht weiter einzugehen.


Das war jetzt ungefähr acht Frühjahre und viele Seufzer her. Es wurde über die Jahre nicht besser, sondern schlimmer. Ich kam mir irgendwann wirklich komisch vor, heimlich durch die Ausstellungshallen der Händler zu schlendern, mit der Hand über Sitzbankbezüge zu streifen, den Geruch fabrikneuer Motorräder zu inhalieren und erst Recht das Parfum der Vorbeifahrenden zu schnuppern. Ja so ein Motorrad hat einen eigenen Duft, immer ein wenig nach unverbranntem Sprit und leichtem Unterton nach verbranntem Motoröl – speziell ältere Exemplare.

Kurzum, es bestand Handlungsbedarf, allerdings muss das Ergebnis irgendwie mit meiner Verantwortung als Vater und Hauptverdiener vereinbar sein. Und nach einem längeren Gedankengang mit einer ehrlichen Selbsterkenntnis kam ich zu einem völlig überraschenden Ergebnis. Ich war zu dem Zeitpunkt 43 Jahre alt, bin ruhiger geworden, leider auch rundlicher, unbeweglicher und viiiel vernünftiger. Auch steht mir heute der Sinn nach mehr Komfort (ja, eine Automatik lehne ich auch nicht mehr prinzipiell ab). Sprich eine Fahrt über die Landstraße mit knappen 180 Sachen mit einer nicht menschenwürdigen Sitzhaltung und den Knien hinter dem Ohr, käme mir heute nicht mehr wirklich in den Sinn.

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Was mir fehlt ist der Wind im Gesicht, das Geschlängel über kurvige Landstraßen und das daraus resultierende Dauergrinsen. Und was nun könnte des Rätsels Lösung sein? „Trommelwirbel“: Ein Maxi-Roller. Jaaaaaa, ich weiß, jetzt rümpfen aktive Kradler gerade voll die Nase und ich hätte vor acht Jahren exakt genauso reagiert. Plasteeimer, Kloschüsselsitzhaltung, Joghurtbecher – das sind nur ein paar Begriffe die ich mir schon alle mehrfach anhören musste. Meine einzige Antwort darauf ist „Schon mal mit so etwas gefahren?“. Es kommt dann in 99% der Fälle ein „ööööööhm“ zurück. Ist klar. Null Plan, aber dicke Lippe.

Wer mal über seinen Schatten springt, die Vorurteile über Bord wirft und auf einem dieser rollenden Sofas Platz nimmt, macht sehr schnell ein erstauntes Gesicht. Du sitzt so richtig bequem. Die Beine können meist mit viel Freiheit platziert werden wo man es gerade möchte, der Lenker ist ergonomisch günstig hoch angebracht.


Die ersten gefahrenen Meter offenbaren dann weitere gravierende Unterschiede. Wendigkeit, Agilität – es ist einfach erstaunlich wie spielerisch einfach die Kilos bewegt werden können. Ich nutze meinen gebraucht erworbenen Peugeot Satelis 500 auf der Fahrt zur Arbeit, für alltägliche Besorgungen und auch rein zum Lustgewinn in der Freizeit. Meist bin ich 50% Stadt und den Rest über Land unterwegs. Hier kann ein Maxi-Roller seine Stärken voll ausspielen. Günstiger Verbrauch, flott durch den Stau und wendig durch den Ballungsraumwahnsinn Stuttgarts. Muss bequem jetzt auch völlig unsportiv sein? Definitiv nicht. Gute Beispiele sind der Yamaha TMAX und BMW C 600 Sport. Sehr gute Fahrwerke gepaart mit guten Motoren, fahraktiver Haltung und trotzdem ist der Fahrer kein Ballast, sondern das Gefährt wurde für ihn gebaut.

Aber was hat das Ganze jetzt mit Vernunft zu tun?
Mal rein faktisch betrachtet: Alles was weniger als 4 Räder mit 1,4 Tonnen Blech drumherum hat, ist weniger sicher. Das fängt beim Fahrrad an und hört beim Superbike auf. Je mehr PS, mit umso höherem Tempo kann man sich den Schädel einrennen. Da brauche ich mir absolut nichts vormachen, oder in die Tasche lügen. Wo liegt dann der Unterschied des Maxi-Rollers zum Motorrad? Na zuerst einmal hat dieser doch deutlich weniger Leistung als Motoräder. Mein letztes Motorrad konnte mit einem Leistungsgewicht von 1,8 KG/PS aufwarten, mein jetziger Roller liegt bei 5,8.

Da geht alles wesentlich gemütlicher vonstatten. Der Reiz des Überholens ist deutlich gebremst. OK kann man jetzt sagen, das ginge auch mit einem kleinen Motorrad. Aber dort fehlt die Entspanntheit. Ich bin so relaxed auf dem Roller unterwegs, ich komme nicht wirklich auf die Idee schwachsinnige Fahrmanöver einzuleiten, da jeder Meter ein Genuss darstellt. Es ist der Schalter im Kopf der umgelegt wird, sobald man draufsitzt. Das klappt nur mit dem schrulligen Plastikeimer.

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© Yoel J Gonzalez (Unsplash)

Mit einem Maxi-Roller lässt es sich hervorragend über kurvige Landstraßen stromern, man kann auch eine flottere Gangart wählen, aber es gibt physikalische Grenzen, die dem Fahrer früh angezeigt werden. Die kleinen Räder besitzen nicht den Abrollkomfort wenn es über schlechtere Straßen geht, da dreht man freiwillig früher das Gas zu. Wer mit einem heutigen Sportler 120 fährt muss gähnen, das fühlt sich auf einem Maxi wesentlich flotter an. Genau diese Rückmeldungen machen es dem Fahrer sehr einfach im Kopf „klick“ zu machen und einfach vernünftig Spass zu haben.

Übrigens streiten sich meine vier Kids regelmäßig, wer jetzt mitfahren darf. Sie lieben das Fahrgefühl, die erhöhte und bequeme Soziussitzposition, den Wind im Gesicht… aber ich wiederhole mich 😉

Zum Ende vielleicht noch ein paar Empfehlungen, sollte ich dem einen oder anderen den Mund wässrig gemacht haben:

BMW C 600 Sport: teuer, top Fahrwerk, miese Kupplung – die ersten Meter kommt man nicht so zügig vom Fleck, Dr. Pulley googlen, wer sich für einen Gebrauchten interessiert.
BMW C 650 GT: teuer, gleicher Motor/Antrieb wie C 600, aber tourenmäßigere Ausstattung und Ergonomie.
Peugeot Satelis II 400: Neues Modell 2014, mit neuem 2 Zylinder 400ccm3 Motor und 37 PS auch einen Blick wert, kostet die Hälte der BMWs.
Suzuki Burgman 650: Tourenschiff für hardcore Rollerfans.
Yamaha TMAX: teuer, tolle Optik und Fahrwerk, sehr langlebiger Motor. Dass 2014er Sondermodell mit Bronzelackierung gefällt mir ausnehmend gut.
Vespa: Hallooooo wir reden hier von Maxi-Rollern und die Vespen kommen über 21,5 PS nicht hinaus. Über die Qualität/Preis-Leistung will ich jetzt gar nicht anfangen zu reden….

In diesem Sinne
Matthias

Titelbild © Jonathan Borba (Unsplash)

Matthias Pracht
Matthias Prachthttp://www.pracht.me
Matthias ist 43 Jahre alt, wohnt in Filderstadt bei Stuttgart und ist Software Architect (Warenwirtschaftssystem) in einem Großkonzern. Er ist seit 16 Jahren verheiratet, hat vier Kinder und eine tiefe Leidenschaft für Zweiräder.

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