Stell Dir folgende Szene vor. Du sitzt im Büro mit Deinem Kollegen zusammen, der Dir gerade bei etwas hilft. Ständig sagt Dein hilfsbereiter Kollege „… so nicht, komm lass mal den Jürgen machen…“, „…der Jürgen zeigt/erklärt Dir das noch einmal…“.
Was denkst Du nach 10 bis 15 Minuten von dem hilfsbereiten Jürgen?
Genau, aus dem hilfsbereiten Jürgen wird der hilfsbedürftige Jürgen, denn der Jürgen hat sie nicht alle stramm.
Szenenwechsel, nachdem Du Dir diese amüsante und ein wenig verstörende Szene vorgestellt hast, denk Dich jetzt in Euer Esszimmer – Abendbrotszene. Deine Tochter/Dein Sohn reckt und streckt sich nach dem Milchglas, das gerade ein paar Zentimeter außerhalb seiner maximalen Reichweite steht.
Was sagst Du?
„Warte, der Papa gibt Dir Deine Milch“
Der „Dritte-Person-Reflex“
Musst Du jetzt auch in die Klapse? Natürlich nicht.
Was habe ich mich früher aufgeregt. Als ich noch keine Kinder hatte fand ich diese Eltern, die mit Ihren Kindern ständig von sich in der dritten Person sprachen, maximal schrecklich. Damals habe ich mir immer geschworen „so eine Scheiße machst Du später nicht…“.
Und heute? Heute rede ich genauso von mir als der Papa, ganz ohne es zu wollen oder steuern zu können.
Es scheint bei uns Menschen eine Art Dritte-Person-Reflex zu geben, sobald wir mit einem Kind sprechen. Nur so ist es zu erklären, das dieses Phänomen auch vor Nicht-Eltern keinen Halt macht.
Meine Schwägerin, Anführerin der überzeugten Nicht-Eltern, scheint Worte wie „ich“, „mir“, „mein“ vollständig aus Ihrem Wortschatz zu löschen, wenn Sie mit unseren Kindern redet.
Warum ist das so?
Ich habe lange recherchiert, was hinter diesem Phänomen stecken mag. Tatsächlich hat sich bisher noch kein Geistesforscher mit den Gründen beschäftigt.
UPDATE: Hier habe ich dann doch noch eine Studie zur Babysprache der Eltern gefunden.
Kinder erkennen sich erst ab dem 3. Jahr als eigenständige Person und können mit Du und Dein überhaupt etwas anfangen.
In der Zeit davor, weiß Dein Kind überhaupt nicht, was Du von ihm willst, wenn Du sagst „… komm` mal zu mir…“. Allerdings „Komm` mal zu Papa“ macht für Kinder schon sehr früh Sinn.
Du siehst, bis zu einem Alter von drei oder vier Jahren ist es durchaus ratsam von Dir in der dritten Person zu sprechen, damit es mit Deinem Kind keine Verständigungsprobleme gibt und es, ganz nebenbei, lernt wer Papa ist.

Hartnäckige Eltern-Konditionierung
Dein Kind ist erfolgreich drei oder sagen wir vier Jahre alt geworden. Es weiß, wer Du bist, es weiß, wer es selbst ist, kann schon seinen Namen sagen (wahrscheinlich auch schreiben). Kurz, das ganze „dritte Person“-Ding hat wunderbar funktioniert.
Doch was machst Du?
Du redest von Dir immer noch als der Papa.
Über die Jahre hast Du nicht nur Deinen Nachwuchs, mit all dem Papa-Geplapper, konditioniert sondern auch Dich selbst.
Zeit gegenzusteuern, nicht, dass Du so ein Jürgen wirst.
So wirst Du „der Papa“ wieder los
Wie mit all den Dingen, die man sich so angewöhnt hat, z. B. Rauchen, in der Nase bohren, Fingernägel kauen, ist es nicht leicht sich von der Papa-sein zu trennen.
Was uns einfach als Kleingedrucktes im Gen-Code zugeflogen ist, wird harte Arbeit wieder loszuwerden.
Dennoch ist es möglich und das Stichwort heißt Umkonditionierung. Du musst Dir wieder angewöhnen ich zu sagen, mein. Und die dritte Person wieder abzulegen.
Ein paar kleine Tipps werden Dir dabei helfen:
- Sprich Deine Kinder mit dem Vornamen an. Das ist ein kleiner Hilfsanker für Dich, damit Du nicht in alte Sprachmuster verfällst und darauf achtest, nicht mehr als Papa von Dir zu sprechen.
- Sag öfters „ich“ . Gewöhn` Dich an das neue ich in Deinem Sprachgebrauch. Je häufiger Du es täglich verwendest, desto leichter wird es Dir fallen, es im Gespräch mit Deinen Kindern zu verwenden.
- Sag nie mehr „der Papa“, wenn Du von Dir redest. OK, ich gebe zu, dass das kein super geheimer Trick ist, aber das ist elementar. Setze „der Papa“ in Deinem Kopf auf die stille Treppe direkt neben Scheiße, Arschloch und ihre Freunde. Verbanne es. Nur so wirst Du es schaffen innerlich zusammen zu zucken, wenn Du im Begriff bist der Papa zu sagen.
- Besorge Dir einen Komplizen. Am besten ist es, wenn Deine Frau und Du Euere gemeinsame Angewohnheit auch gemeinsam wieder ablegt. So könnt Ihr Euch gegenseitig daran erinnern, was Ihr nicht mehr sagen wolltet, denn allzu oft rutscht er völlig unbemerkt durch, der Papa oder die Mama.
Ähnlich wie beim Rauchen, Nase popeln oder Fingernägel kauen ist die Abgewöhnungszeit für das Sprechen in der dritten Person meist lang. Es gibt gute Tage und schlechte Tage. Siege und Rückschläge.
Auch ich bin noch mitten in meiner Papa-Entwöhnung, doch der Papa macht gute Fortschritte…
Jürgen
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Jürgen entschuldigen. Ich habe mir den Namen wahllos ausgesucht und es soll sich niemand persönlich angesprochen oder angegriffen fühlen.