Es gibt Bücher, die kauft man aus Freude und der Lust an Unterhaltung, Spannung oder Information. Und dann gibt es Bücher, die kauft man aus Verantwortung. „Jetzt mal ehrlich?!: Meine Gefühle, mein Körper, meine Regeln!“ von Carsten Müller und Steffi Bohle gehört definitiv zur zweiten Kategorie und ist trotzdem eines der wichtigsten Bücher, das aktuell im Kinderzimmer stehen sollte. Denn mit der kindgerechten Aufklärung kann und sollte man schon frühzeitig starten.
Die Zahlen sprechen leider eine deutliche Sprache: Über 16.000 Kinder wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik allein 2024 Opfer von sexuellem Missbrauch in Deutschland. Das ist die offizielle Statistik. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher, denn viele Fälle werden nie gemeldet oder angezeigt. Hinter jeder einzelnen Zahl steht ein Kind, das traumatisiert wurde, eine Familie, die zerbrochen ist, ein Leben, das aus der Bahn geworfen wurde.
Als Vater möchte man seine Kinder vor allem Bösen dieser Welt beschützen. Doch wie erklärt man einem Fünfjährigen, dass es Menschen gibt, die Kindern Böses wollen? Wie spricht man über körperliche Grenzen, ohne Angst zu schüren? Und wie vermittelt man, dass der eigene Körper etwas Wunderbares ist, das es zu schützen gilt, ohne dabei verkrampft oder dramatisch zu wirken?
Genau hier setzt das Buch der beiden Sexualpädagogen an. „Jetzt mal ehrlich?!“ richtet sich an Kinder ab fünf Jahren und genauso sehr an deren Eltern.
Ein Kinderbuch als Tool für die ganze Familie
Was dieses Aufklärungsbuch von vielen anderen unterscheidet, ist sein doppelter Ansatz. Carsten Müller und Steffi Bohle haben verstanden, dass Prävention nicht funktioniert, wenn man nur mit den Kindern spricht. Kinder brauchen Erwachsene, die Bescheid wissen. Die die richtigen Worte finden. Die Signale erkennen. Die ernst nehmen, wenn ein Kind etwas erzählt.
Deshalb ist „Jetzt mal ehrlich?!“ bewusst so konzipiert, dass es beide Seiten erreicht. Es ist ein Gesprächsöffner zwischen Eltern und Kindern, ein gemeinsames Entdecken von Themen, die sonst vielleicht unausgesprochen bleiben würden. Denn seien wir ehrlich: Vielen von uns fehlen die Worte, wenn es um Körperaufklärung und Missbrauchsprävention geht. Wir sind selbst oft nicht mit diesen Gesprächen aufgewachsen.
Das Buch nimmt uns diese Last ab, indem es eine Sprache anbietet, die kindgerecht und gleichzeitig präzise ist. Es schafft einen Rahmen, in dem unangenehme Themen besprechbar werden, ohne dass Eltern das Gefühl haben müssen, die perfekten Worte finden zu müssen.
Die Botschaft: Dein Körper, deine Regeln
Im Kern geht es in „Jetzt mal ehrlich?!“ um drei zentrale Säulen: Gefühle wahrnehmen und benennen können, den eigenen Körper kennen und respektieren und selbstbestimmte Grenzen setzen dürfen. Diese drei Bereiche sind eng miteinander verknüpft und bilden das Fundament für einen selbstbewussten, geschützten Umgang mit sich selbst.
Kinder lernen durch das Buch, dass ihre Gefühle wichtig sind. Dass ein „Nein“ ein „Nein“ ist – egal, wer gegenübersteht. Dass niemand das Recht hat, sie zu Berührungen zu zwingen, die sich nicht gut anfühlen. Dass ihr Körper ihnen gehört und sie selbst entscheiden dürfen, wer sie wie anfasst.


Das klingt vielleicht selbstverständlich, ist es aber nicht. Wie oft erleben Kinder im Alltag, dass ihre Grenzen übergangen werden? „Gib der Tante doch einen Kuss!“ – „Stell dich nicht so an, das war doch nur Spaß!“ – „Jetzt sei nicht so empfindlich!“ Solche scheinbar harmlosen Sätze vermitteln Kindern, dass ihre Gefühle und Grenzen nicht zählen, dass sie funktionieren und gefallen müssen.
„Jetzt mal ehrlich?!“ dreht dieses Narrativ um. Es stärkt Kinder darin, auf ihr Bauchgefühl zu hören und laut zu sagen, wenn etwas nicht okay ist. Gleichzeitig vermittelt es eine wichtige Botschaft: Es gibt gute Berührungen, die sich schön anfühlen, und schlechte Berührungen, die sich komisch oder falsch anfühlen. Und manchmal gibt es Berührungen, die nötig sind – etwa beim Arzt –, bei denen man trotzdem mitbestimmen darf, wie sie ablaufen.
Für Väter besonders relevant: Die Rolle der Bezugspersonen
Gerade Väter spielen eine entscheidende Rolle bei der Missbrauchsprävention. Studien zeigen immer wieder, dass Kinder, die eine starke, vertrauensvolle Beziehung zu ihren Vätern haben, weniger anfällig für Übergriffe sind. Warum? Weil sie gelernt haben, dass ihre Meinung zählt. Dass sie gehört werden. Dass sie Menschen in ihrem Leben haben, denen sie alles erzählen können.
Ein Buch wie „Jetzt mal ehrlich?!“ hilft Vätern dabei, diese vertrauensvolle Basis zu schaffen. Es bietet Gesprächsanlässe über Themen, die im Alltag oft untergehen. Beim gemeinsamen Lesen entsteht ein sicherer Raum, in dem Kinder Fragen stellen können. In dem Väter zeigen können: Ich nehme dich ernst. Deine Gefühle sind wichtig. Du kannst mit mir über alles reden.
Und genau das ist der Kern von Prävention: Kinder, die wissen, dass sie gehört werden, erzählen eher, wenn etwas nicht stimmt. Sie suchen Hilfe. Sie bleiben nicht allein mit dem, was ihnen passiert ist.

Die Expertise der Autoren macht den Unterschied
Carsten Müller und Steffi Bohle sind beide erfahrene Sexualpädagogen, die seit Jahren in der Aufklärungsarbeit und Prävention tätig sind. Ihre Social-Media-Präsenz unter @car.mueller und @stef.bohle hat bereits vielen Eltern geholfen, einen entspannteren, offeneren Umgang mit Aufklärungsthemen zu finden.
Diese Expertise merkt man dem Buch an. Es ist weder panisch noch verniedlichend. Es schürt keine Ängste, sondern vermittelt Wissen. Es zeigt Kinder als selbstbestimmte Wesen, die ein Recht darauf haben, über ihren eigenen Körper zu entscheiden. Und es zeigt Eltern, wie sie ihre Kinder dabei unterstützen können, ohne sie zu bevormunden.
Die beiden Autoren wissen, dass Aufklärung ein Prozess ist, kein einmaliges Gespräch. „Jetzt mal ehrlich?!“ ist deshalb auch kein Buch, das man einmal vorliest und dann ins Regal stellt. Es ist ein Begleiter, zu dem man immer wieder zurückkehren kann, wenn neue Fragen auftauchen oder bestimmte Situationen im Alltag nach Klärung verlangen.
Prävention ist kein Luxus, sondern Pflicht
Manchmal denkt man als Vater: „Wird schon alles gutgehen.“ Oder: „Mein Kind ist doch noch zu klein für solche Themen.“ Doch die Statistik zeigt: Sexueller Missbrauch betrifft alle gesellschaftlichen Schichten, alle Altersgruppen, alle Familienkonstellationen. Täter sind meistens keine fremden Monster, sondern Menschen aus dem direkten Umfeld – Verwandte, Bekannte, Trainer, Nachbarn.
Genau deshalb ist Prävention so wichtig. Und genau deshalb ist sie so schwierig. Denn wie erklärt man Kindern, dass auch Menschen, die sie kennen und mögen, manchmal Dinge tun können, die nicht okay sind?
„Jetzt mal ehrlich?!“ geht auch diesen unangenehmen Aspekt an. Es vermittelt Kindern, dass gute und schlechte Handlungen nicht an bestimmten Personen festgemacht sind. Dass auch Menschen, die sie gern haben, manchmal Fehler machen oder Grenzen überschreiten können. Und dass es immer richtig ist, darüber zu sprechen. Egal, wer die andere Person ist.
Diese Differenziertheit ist wichtig. Denn Kinder müssen lernen, dass „Vorsicht vor Fremden“ nicht ausreicht. Sie müssen verstehen, dass es um Situationen und Handlungen geht, nicht um bestimmte Personengruppen.

Ein Buch, das Mut macht
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas ist „Jetzt mal ehrlich?!“ kein düsteres Buch. Im Gegenteil: Es ist ein Buch, das Mut macht. Das Kinder ermutigt, selbstbewusst durchs Leben zu gehen. Das ihnen zeigt: Du bist wertvoll. Dein Körper ist wunderbar. Deine Gefühle sind wichtig.
Diese positive Grundhaltung ist entscheidend. Denn Prävention bedeutet nicht, Kindern Angst zu machen. Es bedeutet, sie zu stärken. Ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie sich in der Welt zurechtfinden können. Ihnen zu zeigen, dass es gute Geheimnisse gibt (Geburtstagsüberraschungen) und schlechte Geheimnisse (solche, bei denen jemand sagt: „Das darfst du niemandem erzählen!“).
>> Linktipp: Buchtipp: „Psst! Gute und schlechte Geheimnisse“ <<
Für Väter bietet das Buch die Chance, mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen. Nicht irgendwann, wenn es vielleicht zu spät ist, sondern jetzt. Präventiv. Bevor etwas passiert. Denn das ist die Idee von Prävention: Nicht erst zu reagieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern vorher den Zaun zu bauen.
Fazit: Investition in Sicherheit und Selbstbewusstsein
„Jetzt mal ehrlich?!: Meine Gefühle, mein Körper, meine Regeln!“ ist mehr als ein Aufklärungsbuch. Es ist ein Werkzeug für moderne Elternschaft, ein Türöffner für wichtige Gespräche und eine Investition in die Sicherheit und das Selbstbewusstsein unserer Kinder.
Carsten Müller und Steffi Bohle haben ein Buch geschrieben, das dringend gebraucht wird. In einer Zeit, in der über 16.000 Kinder jährlich Opfer von sexuellem Missbrauch werden, ist Aufklärung keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Und dieses Buch macht es Eltern leichter, dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Ist es manchmal unbequem, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen? Ja. Wäre es schöner, wenn man sich darüber keine Gedanken machen müsste? Absolut. Aber als Väter tragen wir Verantwortung. Und Teil dieser Verantwortung ist es, unsere Kinder auf eine Welt vorzubereiten, die nicht immer nur freundlich ist.
„Jetzt mal ehrlich?!“ hilft dabei, ohne zu überfordern. Es findet die Balance zwischen Aufklärung und Behütung, zwischen Information und Altersangemessenheit. Es ist ein Buch, das im Regal stehen sollte. Nicht als mahnender Zeigefinger, sondern als hilfreiches Werkzeug für alle Väter, die ihre Kinder stark, selbstbewusst und geschützt ins Leben begleiten wollen.
Am Ende ist es ganz einfach: Kinder, die ihre Rechte kennen, können sie auch einfordern. Kinder, die wissen, dass ihr Körper ihnen gehört, lassen sich nicht so leicht manipulieren. Und Kinder, die Erwachsene haben, mit denen sie über alles reden können, bleiben nicht allein, wenn ihnen etwas Schlimmes passiert.