Wenn sie „Terrible Twos“ hören, läuft Eltern ein Schauer über den Rücken. Sie denken dann an kreischende Zweijährige und unkontrollierbare Wutanfälle. Mutter und Sozialpädagogin Jule Schraufl gibt Kurse für Eltern, die wieder Leichtigkeit in den Alltag bringen wollen.
Emils Eltern sind ratlos. Schon morgens liegen die Nerven blank, wenn der Zweijährige sich für die Kita anziehen soll – stattdessen aber von einem Wutanfall in den nächsten taumelt. Auch Nachmittags entspannt sich die Lage nicht, das Stresslevel der Familie ist permanent hoch.
Auch, wenn diese alltägliche Szene ausgedacht ist, so lässt sie sich doch auf die Situation vieler Familien mit Kleinkindern übertragen. Das weiß auch Jule Schraufl, die von Beruf Sozialpädagogin und privat zweifache Mutter ist. Sie weiß, wie es sich anfühlt, überlastet und kraftlos zu sein.
Sie zog deshalb die Reißleine, ließ sich in Sachen „Selbstbewusstsein“ coachen und schulte sich in „bedürfnisorientierter Erziehung“, überwiegend durch Podcasts und Social Media – „da gibt es inzwischen viel hochwertigen Content„. So gewappnet stellte sie sich der sogenannten Autonomiephase, in der Kinder ab zwei Jahren beginnen, ihre eigene Identität zu erkennen und eigene Entscheidungen zu treffen.
Gewaltfrei kommunizieren für mehr Leichtigkeit
Die Lage in der Familie entspannte sich, wie Jule Schraufl zufrieden berichtet. Das Rezept zu mehr „Leichtigkeit durch den Alltag“ teilt sie im gleichnamigen Kurs im Familienzentrum in Neumarkt in der Oberpfalz mit anderen Müttern und Vätern. In ihrem Kurs tauschen sich die Teilnehmer aus und erhalten Informationen zu gewaltfreier Kommunikation. Und wie diese hilft, Konflikte auf Augenhöhe zu begleiten und mit Wut und Frust des Kindes umzugehen. Das Ziel: „Der Alltag als Familie soll sich mit etwas Leichtigkeit füllen.„
Diese Leichtigkeit könne bei jeder Familie anders aussehen. Wichtig sei, im Gespräch herauszufinden, warum sie im Alltag verloren gegangen ist. „Oftmals haben Eltern eine zu hohe Erwartungshaltung an sich selbst und sind im Funktionier-Modus gefangen.“ Im Fokus steht, die Bedürfnisse der ganzen Familie zu berücksichtigen.
Und, auf eine spielerische Ebene auszuweichen, wenn es nicht so läuft, wie es sich die Erwachsenen vorstellen. Zum Beispiel: Aus dem Pflichtprogramm (Schuhe anziehen) ein Spiel machen. „Ja, das kostet Energie und Durchhaltevermögen. Aber auf lange Sicht lohnt es sich und die Kooperationsbereitschaft steigt. Davon profitieren alle„, sagt Schraufl aus Erfahrung.
Aufgaben verteilen: Wer hat gerade mehr Energie?
Ein wichtiger Schritt sei auch die Selbsterkenntnis und Selbstliebe. „Mutter oder Vater zu sein, bedeutet nicht, sich aufzugeben.“ Nur wenn die eigenen Bedürfnisse befriedigt sind und die Akkus geladen, kann eine Veränderung zum Positiven hin stattfinden.
Das bedeutet auch, dass die Last innerhalb der Familie verteilt wird. Wer hat gerade mehr Energie für die Kinder? Wer kann den Haushalt schmeißen? Wer möchte wie viel zum Haushaltseinkommen beitragen? Für diese Fragen gebe es keine pauschalen Antworten, „jede Familie muss einen guten Weg für sich finden und auch flexibel bleiben„. Auch regelmäßige Hilfe von Großeltern oder Freunden schafft Freiräume zum Durchatmen.
Und wenn die Nerven dann doch einmal blank liegen, weil der Zweijährige seinen Wutanfall mitten im Supermarkt hat, rät Jule Schraufl: „Wut und Trotz sind normal in dieser Phase. Als Eltern darf man sich auch sagen: Es ist jetzt Okay, dass es jetzt laut und unangenehm ist. Die Gesellschaft hält das schon aus.„
5 Tipps im Umgang mit der Trotzphase
Die Trotzphase, auch als Autonomiephase bekannt, kann für Eltern eine sehr herausfordernde Zeit und den Familienfrieden gefährden. Hier sind fünf Tipps, die sich schnell umsetzen lassen und für mehr Ruhe im Alltag sorgen können. Wichtig: Geduldig bleiben, eine Veränderung braucht Zeit. Vor allem dann, wenn sich Muster etabliert haben und die Situation angespannt ist:
- Geduld bewahren: In der Trotzphase testen Kinder ihre Unabhängigkeit und setzen sich gegen Regeln und Anweisungen auf. Es ist wichtig, ruhig zu bleiben und Geduld zu zeigen. Vermeidet es, mit eurem Kind in Machtkämpfe zu geraten. Verständnis und eine Kommunikation auf Augenhöhe ist wichtig. Das Kind soll merken: Ich werde ernst genommen.
- Grenzen setzen: Trotzphasen-Kinder benötigen klare und konsistente Regeln. Setzt angemessene Grenzen und haltet euch sich an sie. Vermeidet es jedoch, übermäßig autoritär zu sein, da dies Konflikte verstärken kann. Erklärt eurem Kind, warum gewisse Regeln existieren, und helft ihm dabei, sie zu verstehen.
- Ausdruck von Gefühlen ermöglichen: Kleinkinder haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu kontrollieren. Erlaubt eurem Kind, seine Gefühle auszudrücken, auch wenn es wütend oder frustriert ist. Benennt die Gefühle und zeigt auch auf diese Weise: Ich verstehe, was du durchmachst und wie es dir geht. Zeigt Empathie und versucht, die Gründe hinter seinen Emotionen zu verstehen.
- Alternativen anbieten: Statt „Nein“ oder „Mach das nicht“ zu sagen, bietet eurem Kind alternative Handlungsmöglichkeiten an. Dies gibt ihm ein Gefühl von Kontrolle und Autonomie. Zum Beispiel, anstatt zu sagen „Du darfst nicht mit deinem Essen werfen“, könnt ihr sagen: „Wenn du mit deinem Essen fertig bist, kannst du es in den Mülleimer legen.“ Oder statt: „Nein, erst wird aufgeräumt“, sagt: „Ja, wir räumen auf und dann gehen wir auf den Spielplatz.“
- Lob und positive Verstärkung: Lobt gutes Verhalten und positive Anstrengungen. Positives Feedback kann das Selbstwertgefühl des Kindes stärken und dazu beitragen, Konflikte zu reduzieren. Denn, mal ehrlich: Wir alle wollen doch selbstsichere und starke Kinder großziehen.
Vergesst dabei nicht, dass die Trotzphase eine normale Entwicklungsphase ist, die vorübergeht. Bleibt einfühlsam und geduldig, während das Kind lernt, seine Autonomie zu erkunden, und sucht gegebenenfalls Rat bei Fachleuten, wenn ihr weiter große Schwierigkeiten habt, Konflikte zu bewältigen – es gibt in fast allen Städten und Gemeinden kostenlose Beratungsstellen für Familien. Eine liebevolle und unterstützende Erziehung wird dazu beitragen, dass es in der Familie friedlich bleibt.
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