Sebastian Keck ist Vater einer Tochter. Und er ist psychisch krank. Beides schließt sich nicht aus, viele Menschen leiden an Depressionen, Panikattacken, Süchten, Ängsten oder anderen Krankheiten, die auch nicht durch eine Geburt zur Seite geschoben werden. Für Sebastian hat es sich lange so angefühlt, als wären das Papa sein und ein Kind irgendwie nicht miteinander vereinbar. In seinem Buch „Der Coach aus dem Kinderzimmer“ beschreibt Sebastian auf beklemmende, ehrliche und bewegende Weise, wie es ist, als Mann, als Vater und als Mensch mit einer psychischen Erkrankung zu leben. Und täglich zu überleben.
Denn das ist es, was viele nicht sehen: Dass sich der Kampf nicht nur in Therapiezimmern abspielt, sondern mitten im Alltag. Beim Pausenbrot-Schmieren, beim Sandburgenbauen und somit jeden Tag in dem üblichen Familienwahnsinn. Also beim Versuch, trotz lähmender Angst ein präsenter, liebevoller Vater zu sein.
Wenn selbst das Aufstehen schwerfällt
In die Art des Schreibens von Sebastian musste ich erstmal reinfinden. Es wirkt zum Teil wild und unsortiert. Später verstand ich, dass es ein Abdruck seiner Gedanken ist, die auch ständig im Kopf hin- und herhüpfen und sowohl Richtungswechseln als auch Stimmungsschwankungen unterliegen.
Es gibt Sätze in dem Buch, die mir wie kleine Faustschläge erscheinen. Und Sätze, die mich beim Lesen innehalten und nachdenken lassen. Die zeigen, wie brutal ehrlich dieser Text ist. Kein Herumeiern und kein Selbstmitleid, sondern schonungslose Bestandsaufnahme. „Ich komme kaum aus dem Bett, aber meine Tochter braucht mich“, schreibt er sinngemäß. Und plötzlich sieht man den Papa nicht im Superheldenkostüm, sondern mit verweinten Augen und innerlich zerrissen auf dem Teppich vor einem Legoturm sitzen.
Psychische Krankheiten sind unsichtbar. Man kann sie nicht röntgen, nicht messen. Und doch sind sie da. Für Sebastian Keck sind sie tägliche Begleiter, genauso wie seine Tochter Ella. Mal steht die Angst im Weg, mal die Hoffnung. Und manchmal wird aus beidem etwas Neues: die Erkenntnis, dass es okay ist, nicht perfekt zu sein.
Vaterschaft trotz – oder gerade wegen – Depression
Was das Buch so besonders macht, ist die Perspektive. Sebastian ist kein Außenstehender, kein Experte, der über Betroffene spricht. Er ist mittendrin. In der Rolle des Vaters, der leidet und liebt. Der beides gleichzeitig ist: instabil und verlässlich, unsicher und zutiefst beschützend.
In seinen Kapiteln – mal betitelt mit „HIER“, mal mit „JETZT“ – springt Keck zwischen Erinnerungen und Momentaufnahmen. Das ist manchmal im Zeitstrahl etwas verwirrend, aber nie störend. Denn genau so fühlt sich psychisches Leiden wahrscheinlich an: fragmentarisch, unsortiert, nicht linear. Die Struktur des Buches spiegelt diese Erfahrung und macht sie so greifbar.
Gefühle zulassen – für sich selbst und für das Kind
Ein zentrales Thema ist der Umgang mit Emotionen. Viele Eltern kennen die Herausforderung, mit der Wut, der Angst oder dem Frust ihres Kindes klarzukommen. Für Sebastian, der selbst mit inneren Abgründen ringt, sind diese kindlichen Gefühle eine doppelte Herausforderung. Und auch eine Chance.
Er lernt, nicht zu reagieren, sondern zu verstehen. Nicht zu unterdrücken, sondern zuzulassen. Das betrifft nicht nur seine Tochter, sondern vor allem ihn selbst. Gefühle sind nicht das Problem, schreibt Keck. Der Umgang mit ihnen ist es. Und hier wird das Kinderzimmer zur Trainingsfläche: Ella wird zum Coach – unbewusst, aber wirksam.

Zwischen Trennung und Patchwork – das neue Vaterbild
Sebastian beschreibt auch seine Trennung und das Leben als Vater in einem neuen Familiengefüge. Als seine Ex-Frau mit einem neuen Partner ein weiteres Kind bekommt, wachsen in ihm Verlustängste: Wird sich eine neue Familie um seine Tochter bilden – und er außen vor bleiben?
Doch statt in Eifersucht zu verharren, wagt er eine neue Perspektive. Er erkennt: Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen. Und wenn dieses Dorf nicht der klassischen Kernfamilie entspricht, dann ist das eben so. Am Ende zählt das Wohl des Kindes, nicht das verletzte Ego des Vaters. Eine Erkenntnis, die Mut macht.
Freundschaften, die gehen – und die bleiben
Auch das Thema Freundschaft zieht sich durch das Buch. Sebastian beschreibt, wie sich sein soziales Umfeld verändert. Und das gar nicht nur durch die Krankheit, sondern auch durch das Älterwerden. Alte Freundschaften zerbrechen, andere verblassen. Manchmal freiwillig, manchmal schmerzhaft. Doch es entsteht Raum für neue Verbindungen und für Menschen, die wirklich da sind.
Wertvoll sind dabei vor allem jene, die die Krankheit ernst nehmen. Die nicht bagatellisieren oder wegsehen. Sondern zuhören, dranbleiben und mitgehen, auch wenn der Weg dunkel ist.
Die große Angst, nicht zu genügen
Was Sebastian immer wieder beschreibt, ist das Gefühl, nicht genug zu sein. Für seine Tochter. Aber auch für sich selbst und für die Welt. Diese Selbstzweifel fressen an ihm, wie es wohl viele Betroffene kennen. Besonders schlimm: die vielen unbegründeten Sorgen. Die Angst vor dem Urlaub, vor neuen Situationen, vor dem Verlust. Es ist, als würde sein Kopf ständig Alarm schlagen. Auch wenn draußen die Sonne scheint.
Und doch gibt es Lichtblicke. Vor allem in den kleinen, gemeinsamen Momenten mit seiner Tochter. Wenn sie zusammen durch Wälder streifen. Wenn das Handy ausgeschaltet ist und das Jetzt zählt. Wenn die kindliche Unbefangenheit ihn kurz aus seiner Grübelschleife reißt. Diese Szenen machen Mut. Denn sie zeigen: Es gibt sie, die Inseln im Sturm.

Der eigene Vater – ein neues Verständnis
Ein interessanter Aspekt ist die Rückschau auf Kecks eigenen Vater. Früher wenig präsent, oft im Streit. Heute ein engagierter Großvater. Diese Entwicklung eröffnet Raum zur Reflexion: Was geben wir weiter? Welche Muster wiederholen wir und welche können wir durchbrechen? Sebastian beschreibt hier seine Sicht auf verschiedene Generationen und wie die Väter als Vorbilder die eigene Rolle prägen.
Väter zeigen Gefühle – endlich!
Vielleicht ist das größte Geschenk dieses Buches, dass es Gefühle erlaubt. Besonders männliche. Lange war „Starksein“ das Ideal. Schweigen statt reden. Weitermachen statt innehalten. Sebastian bricht mit diesem Bild und zeigt: Stärke kann auch bedeuten, sich helfen zu lassen. Therapie nicht als Schwäche, sondern als Ressource zu begreifen. Und Tränen nicht als Kontrollverlust, sondern als Ausdruck von Mut.
Denn nur wer sich mit sich selbst auseinandersetzt, kann auch für andere da sein – vor allem für seine Kinder.
Fazit: Kein Ratgeber, sondern ein ehrlicher Begleiter
„Der Coach aus dem Kinderzimmer“ von Sebastian Keck ist kein klassisches Papa-Buch. Keine Tipps, keine To-do-Listen. Stattdessen ein ehrlicher, literarischer Einblick in das Leben eines Vaters mit Depression. Ein Buch, das phasenweise weh tut, aber auch Mut macht. Das nicht alles beantwortet, aber viel anspricht und Steine hochhebt. Und das vor allem eines tut: Verständnis wecken.
Denn psychische Krankheiten betreffen nicht „die anderen“. Sie betreffen uns alle, direkt oder indirekt. Dieses Buch hilft, genauer hinzuschauen. Und vielleicht auch sich selbst ein wenig besser zu verstehen.
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