Gesundheit

„Skinny Girl Mindset“ und seine Folgen – Was Väter über Magersucht wissen sollten

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Der Blick in den Spiegel wird zur Qual, die Waage und eine Kalorientabelle dominieren den Alltag und das gemeinsame Familienessen birgt Konfliktpotenzial. Wenn Jugendliche in Essstörungen wie Magersucht abrutschen, betrifft das die ganze Familie. Besonders häufig trifft es Mädchen zwischen zwölf und siebzehn Jahren. Und leider steigen die Zahlen alarmierend. Laut der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) ist die Zahl der diagnostizierten Essstörungen in dieser Altersgruppe zwischen 2019 und 2023 um fast 50 Prozent gestiegen. In keiner anderen Gruppe war der Zuwachs so drastisch. Was steckt dahinter? Und was können Väter tun, um ihre Kinder vor der Krankheit und dem Sog der sozialen Medien zu schützen?

Der perfekte Körper – ein toxisches Ideal

Auf TikTok und Instagram scheint es sie überall zu geben: schlanke, makellose junge Frauen, die scheinbar mühelos ihren Alltag zwischen Sport, Achtsamkeit, Green Smoothies und Selfcare meistern. Die sogenannten Trends wie „Skinny Girl Mindset“, „Clean Girl Aesthetic“ oder „That Girl“ suggerieren ein Lifestyle-Ideal, das auf Disziplin, Verzicht und äußerer Perfektion basiert. Was auf den ersten Blick harmlos oder sogar gesund wirken mag, hat eine dunkle Seite: Der Druck, einem inszenierten Schönheitsideal zu entsprechen, ist enorm und besonders für pubertierende Mädchen gefährlich. Hier besteht das Risiko, in eine Magersucht oder andere psychische Krankheiten zu rutschen.

Während sich erwachsene Nutzer*innen vielleicht bewusst sind, dass viele dieser Inhalte gefiltert, gestellt oder schlicht unrealistisch sind, fehlt Jugendlichen oft noch diese mediale Reife. Sie nehmen das Gesehene für bare Münze und beginnen sich zu vergleichen. Der eigene Körper scheint plötzlich zu „rund“, das Gesicht „zu voll“ oder im schlimmsten Fall sogar die Zehen „zu dick“, wie es beim absurden TikTok-Trend „Toebesity“ der Fall war. Das Fatale: Die Folge ist nicht selten ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper und schließlich eine handfeste Essstörung.

Wenn die Kontrolle kippt

Experten unterscheiden drei Hauptformen von Essstörungen:

  • Anorexie (Magersucht): Der Zwang, abzunehmen, führt zu drastischer Kalorienreduktion bis hin zu lebensbedrohlichem Untergewicht.
  • Bulimie (Ess-Brech-Sucht): Essattacken wechseln sich mit Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch ab, aus Angst vor Gewichtszunahme.
  • Binge Eating: Wiederkehrende Heißhungeranfälle ohne kompensierendes Verhalten führen zu Übergewicht oder Adipositas.

Auch wenn sich die Symptome unterscheiden – allen Essstörungen ist gemeinsam, dass sie Ausdruck einer tieferliegenden Problematik sind. Es geht nicht nur ums Gewicht. Es geht um Kontrolle, Selbstwert, Anerkennung. Und darum, in einer Welt voller digitaler Ideale und realer Unsicherheiten überhaupt irgendwie zu bestehen.

Warnzeichen erkennen – wann Eltern hellhörig werden sollten

Essstörungen entwickeln sich schleichend. Deshalb ist es wichtig, typische Warnsignale früh zu erkennen. Dazu zählen:

  • Starker Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme ohne erkennbare Ursache
  • Rückzug von Freunden, Hobbys oder Familienaktivitäten
  • Zwanghaftes Kalorienzählen oder exzessiver Sport
  • Häufige Toilettengänge nach dem Essen
  • Gereiztheit, depressive Verstimmungen, gestörtes Schlafverhalten
  • Übertriebene Beschäftigung mit Ernährung, Körper oder Diäten

Nicht jedes auffällige Verhalten muss gleich eine Essstörung bedeuten. Aber wenn sich mehrere dieser Anzeichen über Wochen häufen, sollten Eltern das Gespräch suchen oder sich Hilfe holen.

Warum besonders Mädchen betroffen sind – und Jungen nicht vergessen werden dürfen

Laut KKH sind etwa 7,5 Prozent aller diagnostizierten Essstörungen auf Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren zurückzuführen. Warum gerade sie? „Mädchen vergleichen sich deutlich häufiger auf Social Media, fühlen sich stärker unter Druck gesetzt und sind sensibler für Kontrollverluste“, erklärt Franziska Klemm, Psychologin der KKH.

Dennoch: Auch Jungen sind nicht immun und können unter Magersucht oder anderen psychischen Krankheiten leiden. Sie zeigen ihre Unsicherheiten oft anders, etwa durch zwanghaftes Muskeltraining oder extreme Diäten, um „männlicher“ zu wirken. So können auch hier Essstörungen entstehen, die oft später erkannt werden, weil sie im öffentlichen Diskurs weniger präsent sind. Wichtig ist: Jeder Jugendliche kann betroffen sein – unabhängig von Geschlecht, Gewicht oder sozialem Hintergrund.

Der Einfluss sozialer Medien – und wie Eltern gegensteuern können

Väter, die ihre Kinder schützen wollen, müssen verstehen, wie subtil der Einfluss sozialer Medien wirkt. Es sind nicht nur explizite Schlankheitswahn-Videos, die gefährlich sind. Viel häufiger sind es harmlose Beauty- oder Fitnessinhalte, die langsam das Bild vom „richtigen“ Körper formen. Die Plattformen belohnen Inhalte mit Likes und Reichweite – je perfekter, desto besser. Das erzeugt eine digitale Realität, die mit dem echten Leben wenig zu tun hat.

Was also tun, um die Magersucht, Essstörungen und andere Krankheiten zu verhindern? „Aufklärung allein reicht nicht“, sagt Franziska Klemm. „Wichtiger ist es, Kinder dabei zu unterstützen, ein positives Selbstbild zu entwickeln, Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen und ein starkes soziales Umfeld zu pflegen.“

Was Väter konkret tun können

Väter spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie sind oft die weniger emotionalen, aber nicht weniger wichtigen Anker im Leben ihrer Kinder. Gerade Töchter profitieren davon, wenn der eigene Vater ein stabiles, wertschätzendes Bild vermittelt, unabhängig vom Aussehen.

Hier ein paar Impulse:

  • Zeigt echtes Interesse an den Medienwelten eurer Kinder.
  • Sprecht über Vorbilder und Körperbilder, ohne zu bewerten.
  • Achtet auf euer eigenes Verhalten: Wie sprecht ihr über euren Körper, über Ernährung, über andere Menschen?
  • Schafft medienfreie Zeiten, etwa beim Essen oder am Wochenende.
  • Ermutigt eure Kinder, sich selbst wert zu schätzen. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Einzigartigkeit.

Schulen als Schlüssel zur Prävention

Auch Schulen können einen wichtigen Beitrag leisten. Viele Lehrer*innen sind sensibilisiert, können Veränderungen im Verhalten früh wahrnehmen und Schüler*innen gezielt unterstützen. Programme wie MaiStep setzen genau hier an: Sie fördern Resilienz, kritisches Denken und Medienkompetenz. Dass sie wirken, zeigt sich nicht nur in den Einsparungen bei den Krankheitskosten, sondern auch in der Rückmeldung von Jugendlichen, die durch das Programm gestärkt wurden.

Hilfsangebote – wenn Unterstützung nötig ist

Wenn der Verdacht auf eine Essstörung besteht, sollten Eltern nicht zögern, sich Hilfe zu holen. Gute Anlaufstellen sind:

  • Hausärzt*innen oder Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen
  • Schulpsychologische Dienste
  • Beratungsstellen wie die Nummer gegen Kummer (Tel. 116 111, kostenlos)
  • Online-Angebote wie bke-beratung.de oder die Websites der Krankenkassen

Außerdem bietet die KKH eine kostenfreie Elternbroschüre mit Infos und Tipps an, wie man Kinder durch diese sensible Lebensphase begleiten kann. Sie ist hier abrufbar: kkh.de/psychische-gesundheit-jugendliche

Fazit: Präsenz statt Perfektion

Väter müssen keine Experten für Psychologie oder Ernährung sein, um ihre Kinder zu stärken. Und Krankheiten wie eine Magersucht, Angststörungen und Depressionen lassen sich auch durch Liebe und viel Aufmerksamkeit nicht immer verhindern. Es hilft aber, präsent zu sein, Interesse zu zeigen und ansprechbar zu sein. Und sich nicht von der digitalen Glitzerwelt blenden zu lassen, die oft so gefährlich schillert.
Denn am Ende brauchen Kinder keine perfekten Eltern, sondern echte. Die da sind, zuhören, nachfragen und Halt geben. Genau dann, wenn der Druck zu groß wird. Und da hilft es auf jeden Fall, nah dran und wachsam zu sein.

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