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KolumnenSechserpäckchen +1Kolumne: Sechserpäckchen +1 – „Austausch, der zweite“

Kolumne: Sechserpäckchen +1 – „Austausch, der zweite“

Wir haben es schon wieder getan: Wir haben uns einen Austauschschüler ins Haus geholt. Obwohl, das stimmt nicht ganz: Unser letzter Gast aus den europäischen Brüderstaaten war weiblich und kam aus Warschau. Aktuell besucht uns Gauthier, ein 16-jähriger Junge aus Frankreich, aus der Region Lothringen. Der bleibt aber nicht lediglich etwa eine Woche, sondern ganze acht. Eine Grundlage dafür ist die langjährig gewachsene deutsch-französische Freundschaft. Und weil die noch viele, viele Jahre lebendig bleiben soll, habe ich extra dafür meine spezifischen Sprachkenntnisse aufgefrischt, die neben guten Wünschen zur Nacht eine Entschuldigung und das Eingeständnis des Nichtverstehens bereithalten. Und noch ein paar Konversationsbrocken mehr, worauf es aber gar nicht so sehr ankommt, weil ja Leander im Zentrum des Austauschprogramms steht und der schon sehr gut der französischen Sprache mächtig ist. Leander ist immer dann zur Stelle, wenn Gauthier mit seinen Deutschkenntnissen stockt. Oder wir seine Einsen in Französisch gefälligst belegt haben möchten. In unserem Beisein hat Leander nämlich bisher so gut wie nie auf diese wunderbare Sprache zurückgegriffen. Abgesehen vielleicht von Baguette an ziemlich jeden Sonntagmorgen, aber das hat schon wieder soviel mit Essen zu tun, dafür würde sogar Oskar einen Crashkurs in Französisch belegen.

Die französische Flagge wehte bereits sanft flatternd im Wind, als Gaultier mit seinen Eltern anreiste. Und sie wird weiterwehen bis zum vorgesehenen Abreisetag. Bis dahin aber wird Gaultier eine Menge gesehen und erlebt haben. In sportlicher Hinsicht hat sich nach über zwei Wochen schon recht viel getan. Gaultier spielt für sein Leben gern Fußball und Tischtennis. Also musste unser nicht so großer Garten bereits herhalten für Pässe, Elfmeter und Abstauber, und für den kleinen, weißen Kunststoffball wurde eine richtige Platte hineingestellt. Eine kalte wohlgemerkt, weil nämlich die darauf gespielten Matches unglaublich hitzig geführt wurden. Ich gegen Gaultier, Gaultier gegen Pauline, Max und Valentin gegen mich, Gaultier gegen plötzlich aufkommende Windböen. Am Alpenrand können die sich schon mal recht überraschend einstellen, Austauschschüler dagegen nicht.

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Das Procedere für einen gegenseitigen Besuch war aufwendig und bürokratisch, fast so, als würde nichts unversucht gelassen, eine Weltfriedenskonferenz anzuberaumen. Dabei geht es ja nur um ein intensiveres Kennenlernen von jungen Deutschen und Franzosen. Das soll geschehen durch das gemeinsame Erleben des Alltags des jeweils anderen, im jeweils anderen Land. Man sitzt also beim Essen zusammen, tritt gegen den selben Ball oder sucht sich gemeinsam was zum Anschauen im Internet aus – zum Beispiel mehrere Folgen von „Eine schrecklich nette Familie“, französisch synchronisiert. Für sich nicht Auskennende mit trashigem Kult-TV: Das ist die, deren Oberhaupt ein passionierter Schuhverkäufer ist. Ein visionärer Job: Was kann ein Vater eigentlich schon mehr anstreben, als alle möglichen Hebel in Bewegung zu setzen dafür, nicht aus den Latschen zu kippen?

Gaultier hat sein eigenes, kleines Zimmer bekommen. Darin ein Bett, ein Nachttisch, ein Regal und ein Wäschekorb. Darin täglich neu gebrauchte Wäsche. Das ist normal und bedarf keiner Anmerkung. Ein nicht gemachtes Bett ist es wahrscheinlich auch in dem Alter, auch wenn es mit „nicht gemacht“ weniger getroffen ist als zum Beispiel mit „Oh mein Gott, so ein Bett hab` ich zuletzt gesehen, als Frau Holle ihre gelegentlichen schweren Depressionen endgültig nicht mehr leugnen konnte!“.
Dennoch mussten wir die Hände von allen Dingen lassen, die nur ihn persönlich etwas angingen. Dazu gehörte nun mal die Oberaufsicht über sein Bettwesen. Und dass ein paar Straßenschuhe neben seinem Bett standen, nun ja. Gaultier hatte wohl Al Bundy und seinen fabelhaften Job so sehr verinnerlicht, dass er es ihm quasi gleichtun wollte, indem er eine Rund-um-die-Uhr-Beziehung zu trendigen Tretern aufbaut. Die hat er übrigens auch zu seinem scheinbar sehr stabilen Gemüt: Immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Das kann aber auch missverständliche Signale auslösen. So deutet das Valentin wiederholt als Einladung zu Spiel und Spaß zwecks vorübergehender Beseitigung einer gewissen Langeweile. Ist aber eher nicht so gemeint. Vielmehr vermute ich darin eine überwiegende Zufriedenheit mit seiner Gastfamilie, also uns. Die hoffentlich noch etwa sechs Wochen andauert, ehe ich die blau-weiß-rote Fahne, weithin bekannt als „Trikolore“, wieder einholen kann. Die verbleibende Zeit aber bis dahin werden wir noch so oft als möglich nutzen für erhellende Gespräche, sportlichen Wettstreit und besondere Ausflüge. Immer im Geiste von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, versteht sich. Ideale galten uns ja bislang schon als hohes, unveräußerliches Gut, und zwar von Kindesbeinen an. Für einen vollen Magen zum Beispiel würde Oskar sogar einen Crashkurs in Revolution absolvieren…

Fotos: © Pexels

Michael Ibach
Michael Ibach
Michael Ibach ist freier Journalist und Autor; als Autor/Ghostwriter arbeitet er seit über 15 Jahren für diverse Bühnenkünstler aus Deutschland und der Schweiz (Comedians, Kabarettisten, Bauchredner, Zauberer, Moderatoren, etc.). Kolumnen wie diese wurden bereits in verschiedenen Familien-Magazinen publiziert, u. a. in "Mamamia", "KidsLife", "Kids&Co.", "BIO-Magazin" und zuletzt im Chiemgauer Regionalmagazin "Servus Achental". Mit seiner Familie lebt er seit etwa 10 Jahren am bayerischen Alpenrand, seit 2012 im Chiemgau.

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