Familienleben

Kinderrechte vs. Like-Zahlen: Aktionswoche für mehr digitale Fürsorge bei Kinderfotos

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Es sind die kleinen, intimen Momente, die uns das Herz aufgehen lassen: das erste Eis in der Sommersonne, der stolze Blick nach dem Sprung ins Becken oder der verschmierte Mund nach dem Geburtstagskuchen. Natürlich wollen wir diese Augenblicke mit Kinderfotos für die Ewigkeit festhalten und gerne auch mit Freunden oder der Community teilen. Doch was auf Instagram oder Facebook wie ein harmloses Familienidyll aussieht, kann sich im Hintergrund zu einem massiven Risiko für unsere Kinder entwickeln.

Zum Start der Sommerferien rufen deshalb gleich mehrere Organisationen zu mehr digitaler Fürsorge auf – und starten vom 23. bis 30. Juni 2025 die gemeinsame Social-Media-Aktion „Kinder sind kein Content!“. Ziel ist es, Eltern wachzurütteln, aufzuklären und ihnen Wege zu zeigen, wie man schöne Kindheitserinnerungen bewahren kann, ohne die Rechte und die Sicherheit des Nachwuchses zu gefährden.

Einmal gepostet, für immer im Netz

„Der Schutz unserer Kinder beginnt mit jedem Klick“

…bringt es Deborah Woldemichael, Leiterin der EU-Initiative klicksafe, auf den Punkt. Was viele Eltern nicht bedenken: Kinderfotos, einmal hochgeladen, sind kaum noch aus dem Netz zu löschen. Plattformen wie Instagram oder TikTok sichern sich mit ihren AGBs nicht nur Nutzungsrechte, sondern behalten sich auch vor, Inhalte weiterzugeben oder algorithmisch auszuwerten. Im Klartext: Die Kontrolle über das Bild ist futsch. Und mit ihr womöglich auch ein Stück Privatsphäre des Kindes.

Wenn Eltern zu „Sharents“ werden

Der Begriff „Sharenting“ – ein Kunstwort aus „Sharing“ (teilen) und „Parenting“ (Elternschaft) – beschreibt das Phänomen, dass Eltern exzessiv Kinderfotos und -videos von ihrem Nachwuchs posten. Meist aus Stolz. Manchmal auch aus Langeweile oder dem Wunsch nach Anerkennung. Und häufig, ohne dass die Kinder jemals gefragt wurden. Dabei haben selbst kleine Kinder ein Recht auf Privatsphäre. Und das ist nicht nur moralisch relevant, sondern auch rechtlich verankert.

Eine Studie der Universität zu Köln und des Deutschen Kinderhilfswerks zeigt, dass viele Kinder die Veröffentlichung von Kinderfotos unangenehm finden, wenn sie älter werden. Sie fühlen sich bloßgestellt, kontrolliert oder sogar verraten. Manche entwickeln Schamgefühle oder Angst, wenn sie auf peinliche Fotos aus der Vergangenheit angesprochen werden – sei es online oder im echten Leben.

Digitale Kinderrechte: Was sagt das Gesetz?

Kinder haben ein Recht auf Schutz, Förderung und Beteiligung, auch im digitalen Raum. Das steht nicht nur in der UN-Kinderrechtskonvention, sondern wird zunehmend auch im europäischen Datenschutzrecht betont. In Deutschland schützt das Recht am eigenen Bild jeden Menschen – auch Kinder. Wer also ein Foto eines Kindes veröffentlicht, braucht grundsätzlich die Einwilligung der Sorgeberechtigten. Doch was, wenn die Eltern selbst posten?

Hier wird es kompliziert: Eltern dürfen im Namen ihrer Kinder Entscheidungen treffen, aber sie müssen dabei das Kindeswohl im Blick behalten. Das bedeutet: Auch wenn ein Kinderfoto „niedlich“ ist, darf es nicht die Persönlichkeitsrechte des Kindes verletzen oder später zu einem Problem werden. Besonders heikel wird es, wenn Kinder halbnackt gezeigt werden (z. B. am Strand oder im Badezimmer). Solche Aufnahmen sind nicht nur riskant, sondern können sogar strafrechtlich relevant werden, wenn sie in falsche Hände geraten.

Die dunkle Seite des Internets

Viele Eltern unterschätzen die Gefahren, die mit der Veröffentlichung von Kinderfotos einhergehen. Die Aktion #KindersindkeinContent verweist auf fünf besonders gravierende Risiken (Quelle: „Sharing is not Caring“, Deutsches Kinderhilfswerk e.V.):

  1. Verlust der Kontrolle über das Bild
    Einmal hochgeladen, lässt sich ein Foto kaum wieder vollständig entfernen. Die Plattformen sichern sich oft weitreichende Nutzungsrechte, auch zur Weitergabe an Dritte.
  2. Preisgabe sensibler Daten
    Im Hintergrund eines Fotos sind Schule, Adresse oder andere Hinweise sichtbar? Das kann Fremden helfen, das Kind zu identifizieren oder sogar aufzusuchen.
  3. Cybermobbing
    Was Eltern süß finden, kann für andere eine Steilvorlage zum Spott sein – besonders, wenn Kinder mit offenem Mund schlafen, auf dem Töpfchen sitzen oder Grimassen schneiden.
  4. Sexueller Missbrauch
    Pädokriminelle suchen gezielt nach Kinderfotos – auch nach solchen, die in harmlosen Kontexten aufgenommen wurden. Besonders gefährlich sind Bilder in Unterwäsche oder beim Baden.
  5. Manipulation durch KI
    Selbst harmlose Bilder können durch KI verfremdet, kombiniert oder in völlig neue Kontexte gesetzt werden. Deepfakes und KI-generierte Missbrauchsdarstellungen sind auf dem Vormarsch.

Der schmale Grat zwischen Stolz und Schutz

Natürlich sind wir stolz auf unsere Kinder. Natürlich wollen wir besondere Momente in Form von Kinderfotos und -videos festhalten und teilen. Das ist menschlich und verständlich. Aber vielleicht sollten wir uns öfter fragen: Teile ich das für mein Kind – oder für mich?

Ein Gedanke, der hilft: Stell dir vor, dein Kind ist 16 und googelt seinen Namen. Möchtest du, dass es dann auf ein Bild stößt, das du heute aus einer Laune heraus gepostet hast? Vielleicht vom Töpfchen? Oder heulend beim Zahnarzt?

Was du konkret tun kannst

Es geht nicht darum, niemandem mehr ein Kinderfoto zu zeigen, sondern darum, bewusst zu entscheiden, wem man was zeigt. Und vor allem: wie.

Hier ein paar Impulse für verantwortungsvolles Teilen:

  • Teile lieber privat: Nutze geschützte Cloud-Ordner oder Messenger-Gruppen, um Bilder mit der Familie zu teilen.
  • Vermeide Gesichter: Rückansichten, kleine Füße oder Händchen erzählen auch Geschichten, ohne die Kinder identifizierbar zu machen.
  • Sprich mit deinem Kind: Sobald es alt genug ist, sollte es mitreden dürfen. Und wenn es Nein sagt, ist das Nein zu akzeptieren.
  • Frage dich: Ist das Bild in fünf Jahren noch okay? Wenn nicht, dann vielleicht auch heute nicht.
  • Nutze Tools und Filter mit Vorsicht: Smiley über dem Gesicht? Besser als nichts, aber kein echter Schutz vor KI.

Die Rolle von Influencern und Familien-Blogs

Ein besonders heikles Kapitel betrifft das sogenannte „Kidfluencing“: Kinder, die Teil von Familienkanälen oder Eltern-Influencer-Accounts sind – oft mit Tausenden Followern. Hier verschwimmen schnell die Grenzen zwischen Privatsphäre und Profit. In Frankreich gilt seit 2021 ein Gesetz, das Kinder von Influencern besonders schützt und Plattformen zur Verantwortung zieht. Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, wie Kinder in der Öffentlichkeit besser geschützt werden können.

Eltern, die beruflich posten oder kooperieren, sollten sich immer bewusst machen: Kinder dürfen nicht zum Geschäftsmodell werden. Und sie brauchen einen Raum, in dem sie einfach Kind sein können.

Die Aktion unterstützen – und weiterdenken

Wer mehr erfahren will, sollte in dieser Woche auf den Social-Media-Kanälen von klicksafe, SCHAU HIN!, Gutes Aufwachsen mit Medien, der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz sowie der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten vorbeischauen. Unter dem Hashtag #KindersindkeinContent gibt es täglich Infos, Tipps und Denkanstöße. Auch offline lohnt es sich, mit anderen Eltern über das Thema zu sprechen, vielleicht bei einem Elternabend, in der Kita oder auf dem Spielplatz. Denn noch immer gehen viele Eltern sehr unbedarft mit ihren Kinderfotos um.

Fazit: Dein Klick macht den Unterschied

Kinder haben das Recht auf eine Kindheit ohne digitale Fußabdrücke, die sie nie selbst gesetzt haben. Sie brauchen Schutz, nicht Likes. Und sie brauchen Eltern, die ihre Verantwortung ernst nehmen – auch im Netz.

Vielleicht ist dieser Sommer also der richtige Moment, das Handy kurz wegzulegen und den Moment ganz analog zu genießen. Und wenn du Kinderfotos machst, dann am besten fürs Familienalbum und für dein Kind.

Weiterführende Links zur Aktion „Kinder sind kein Content“:

beauftragte-missbrauch.de

klicksafe.de

schau-hin.info

gutes-aufwachsen-mit-medien.de

bzkj.de

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