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RatgeberFamilienlebenWarum "Eltern sein" unfassbar anstrengend ist und das leider keiner zugeben will

Warum „Eltern sein“ unfassbar anstrengend ist und das leider keiner zugeben will

Love the way you Schrei! Das ist ein Geständnis. Quasi die „Confessions of a DADDYlicious Mind!“ Ich werde jetzt hier Ängste, Kummer, Sorgen und Probleme offenbaren, die ich sonst nirgendwo lese. Aber ich glaube sie sind da. Überall wo Kinder sind. Überall wo Leistungsdruck und Geldprobleme sind. Überall, wo Gruppenzwang und Versagensängste existieren. Stimmt mir zu, lacht mich aus – es muss mal raus!

Stop in the name of Schlaf

Es ist doch so. Man weiß es halt meist erst hinterher alles besser. Als ich zur Bundeswehr kam, hatte ich viele tolle Geschichten von Biwaks im Wald, Saufspielen auf der Stube und verrückten Aktionen wie Kleiderspinden voll Bauschaum gehört. Alles, was ich dann dort erlebt habe, war komplett anders. Und außerdem ist es so. Nur, weil keiner darüber redet, heißt es nicht, dass es nicht passiert. Wie lange ist es her, dass keiner offen seine Homosexualität gestehen wollte? Wie lange ist es her, dass Frauen noch für viel automatisch Hausfrauen waren? Und so ist das bei so vielen Dingen im Leben.

Die erste gemeinsame Wohnung ist für manche der Liebeskiller, für andere der endgültige Beweis für das große Glück. Manch einer braucht ein Hobby um den Kopf frei zu bekommen, der Nächste müsste mal ein paar davon ruhen lassen um runter zu kommen. Man bekommt mal dies, mal das mit und kann sich ein paar schlaue Sätze anhören. Von Eltern hört man aber immer nur eines, wenn es nicht gerade ganz enge Freunde sind: Alles geil! Das hat sich so eingespielt und das ist ein Drama. Wer Schwäche in der Erziehung gesteht, macht sich selbst zu schlechten Eltern. Das muss aufhören. Und weil keiner damit anfängt, mache ich das jetzt.

Smokey Eyebags

Ganz ehrlich, ich habe sie lange beneidet. Die perfekten Muttis mit den perfekten Kindern. Kinder, die von 18-10 Uhr durchschlafen, bis zum 12 Geburtstag nur Muttermilch konsumieren und ab dem 2. Monat im Haushalt mithelfen. So stellen sie es hin. Und weil es alles so einfach ist, macht Mama noch was im Bereich Klöppeln, hat zwei Tage nach der Geburt wieder eine Modelfigur und heilt Knochenbrüche mit Zuckerkügelchen. Es ist offenbar eine Art Lebensweg – die Welt darf nicht sehen, dass das mit Lütten auch Arbeit ist. Irgendeine hat das mal angefangen, die Freundin hat es adaptiert, weil ihr Klagen unangenehm wurde. Und ein paar Jahre später macht niemand mehr den Mund auf.

Im Zweifel werden die Augenringe halt zu Smokey Eyes überschminkt. Wer macht denn da eigentlich wem etwas vor? Würde irgendwer bei einer Grippe mit 40 Grad Fieber und Gliederschmerzen auf die Idee kommen und sagen „ich hatte nur ein wenig Husten“? Kinder halten dich Nächte lang wach, Kinder werden krank, Kinder verhalten sich anstrengend, weil sie Entwicklungsphasen selbst als anstrengend empfinden. Kinder entdecken alle paar Wochen die Welt mit einem anderen Blick ganz neu – mal ist das super schön, mal ist das super blöd. Mal lernen sie Lieder singen und Buchstaben schreiben, mal sind es Kraftausdrücke und Wutausbrüche, die irgendwo adaptiert werden.

Es ist, wie es ist und am Ende machen diese Phase sie zu der Persönlichkeit, die sie dann später mal sind und Mama und Papa versuchen so gut es geht zu lenken. Mal fährt man da einen pädagogischen Porsche, dann wieder eine alten Trabi. Nur sieht man das alles halt irgendwie nicht bei anderen. Die Wahrheit würde Schwächen offenbaren.

Zumba Tätärä auf dem Gymnastikball

Die Wahrheit, die man nicht sieht, von der man nichts hört, ist eine andere. Da bin ich sicher. Sagt einem ja aber keiner was von Trotzphasen, Mittelohrentzündungen und „den fünf Minuten“, die auch mal fünf Stunden dauern können. Alles perfekt. Überall. Macht offenbar keinem was, wenn die Zähne kommen und das Kind fiebert, alle 30 Minuten schreit und nur einschläft, wenn man die Hand hält. Und wenn der Kleine um 4:30 Uhr frühstücken will, weil der Körper nicht die MEZ als Standartzeit akzeptiert. Oder – auch ganz fein – wenn die Grenzen ausgetestet werden und man am liebsten alles erlauben würde, aber genau weiß, dass das nicht geht, weil die Grenze am nächsten Tag noch ein Stück weiter hinten stehen würde.

Man hört nichts. Immer alles super. Du selbst bist so voll Liebe, dass dein Kind in den ersten Wochen nur auf deinem Arm schlafen darf und dass der Kleine das dann auch noch will, wenn du eben nicht mehr in Elternzeit bist. Und wenn sie Zahnen, fängst du an und singst Lieder und wackelst dir auf Gymnastikbällen den Rücken kaputt, dass sie trotz Schmerzen irgendwie einschlafen. Und dann sind die Zähne da und der Gymnastikball bleibt. Und dann hört die Frau aus welchen Gründen auch immer auf zu stillen oder hat – wie kann sie nur – nie damit angefangen.

Aber, weil ein paar dir einreden, dein Kind fällt zu 100 Prozent bald tot um, weil du das nicht (mehr) machst, hält Mama sich für eine Rabenmutter. Anderswo schlafen die Kinder natürlich immer durch. Dabei ist bei so manchem Baby der lange Schlaf einfach nur eine Schutzfunktion vor der überforderten Frau, die einst schon nach zehn Minuten Babygebrüll selbst einen Heulkrampf hatte. Weiß Mutti aber nicht – die hält sich für die Größte und lässt das auch heraushängen. Alles easy!

Haribo für Stinker ins Klo

Ich sag Euch jetzt mal was. Ich finde das alles unfassbar anstrengend. Tage und Wochen nicht durchschlafen. Nie wissen, ob man gerade das Richtige macht. Immer Vorbild sein wollen. Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen wollen. Und dann diese unnötige Scheiße mit der heilen Welt, die dir alle vorspielen. Dann stehst du am Spielplatz und willst am Liebsten ein Sprungtuch unter das Klettergerüst bauen. Und wenn du sagst „heute bin ich mal entspannter“, hauen sie sich mindestens die Knie auf und du machst dir Vorwürfe. Dann sitzt du im Kinderzimmer und das Kind spielt endlich mal allein.

Und wenn du dann mal auf dein Handy schaust, ruft er garantiert nach dir und du hörst nicht richtig zu und hast ein schlechtes Gewissen. Dann steht ihr um 4:40 auf und du lässt dein Kind zwei Folgen Feuerwehrmann Sam schauen, dass es wenigstens 5:00 ist, weil die 5 auf der Uhr schon psychologisch so viel schöner ist. Und dann schläft du selbst noch mal ein, wachst um 6:30 auf und der Kleine schaut immer noch entspannt und du denkst dir, was du denn für ein Rabenvater bist. Dann fängst du an Süßwaren als Bestechungsmittel zu benutzen.

Stinker ins Klo gegen Haribo, Überraschungseier für aufgeräumte Zimmer. Dann fordern die klugen Trolle plötzlich für jeden Pups eine Tonne Schokolade und Gummibärchen und du denkst du bist der größte Idiot. Ganz ehrlich: Parkt Euer Kind MAL vorm TV, schaut MAL auf Euer Handy, belohnt sie MAL mit Süßigkeiten. Das ist alle MAL ok, wenn es Ihr es nicht normal, sondern der letzte Rettungsanker sein lasst. Es ist ok, wenn man mal die Schnauze voll hat. Es ist ok, wenn man mal seine Ruhe will. Es ist ok, wenn einem alles über den Kopf wächst. Das passiert in jedem Beruf, warum soll es nicht auch bei einer so großen Berufung passieren dürfen?

Mutti Karotti

Und ich verrate Euch noch mal was. Ich liebe meine Frau und meine Kinder. Sehr! Trotz Schlafmangel, trotz Arbeit, trotz Stress. Sie geben dem, was ich tue einen wunderschönen Sinn. Ich stehe gerne Samstags um 5:30 Uhr auf, wo ich früher auch schon mal die 15:30-Konferenz der Bundesliga gerade so geschafft habe. Ich lass mich gerne auch mal „Blöder Papa“ nennen und haben einen Zorn-Kratzer schräg auf der Backe, weil das nächste „Du bist der beste Papa der Welt“ alles vergessen macht. Ich nehme auch hitzige Erziehungsdiskussionen mit meiner Frau in Kauf, weil wir beide wissen, dass wir damit das Beste für unsere Kinder erreichen wollen.

Ich liebe es, wie ein kleines Kind durch das Kinderzimmer zu toben, Verstecken, Karten, Brettspiele zu spielen, Minions zu zeichnen, die dann mit fetten Strichen ausgemalt werden, wo ich früher Zeit für vier Folgen einer Serie, fünf Leben Candy Crush und irgendwas auf RTL hatte. Ich war nie stolzer als auf die ersten Schritte, die ersten Worte, das ersten selbständigen Häufchen meiner Kinder. Ich bekomme Pipi ins Auge, wenn ich kluge Eigenschaften entdecke, wenn die letzten zwei Gummibärchen mit Papa geteilt werden oder das liebste Spielzeug auf den Boden fällt um Papa nach Feierabend im Sprint zu empfangen.

Ich will einfach nur sagen dürfen, dass das alles auch ganz schön viel Arbeit und Anstrengung ist, die mit ganz viel Spaß und Liebe belohnt wird. Ich will sagen dürfen, dass ich Samstags auch mal gerne wieder bis 13 Uhr schlafen und mit meiner Frau bis 6 Uhr morgens einen trinken oder ohne Dauerblick aufs Handy ins Kino oder schön essen gehen würde. Zu zweit. Und dass dann keiner schief guckt und um jeden Preis verstecken will, dass das eigentlich bei jedem so ist.

Bild: © vasakna – Fotolia.com

Thomas Poppe
Thomas Poppe
Thomas Poppe ist Vater von zwei Kindern, Redakteur, Autor (u.a. für die heute show) und Blogger (http://poppeprobierts.de).

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