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ReiseSüdafrika zu Viert - Teil 4: Ruhe an der wilden Küste

Südafrika zu Viert – Teil 4: Ruhe an der wilden Küste

Das ehemalige Homeland Transkei wurde auf Südafrika-Touren lange ignoriert: zu arm, zu gefährlich, zu unterentwickelt. Dabei ist die Landschaft einzigartig, die Küste nahezu unberührt und andere Touristen eher selten. Man sollte sich aber an einige Regeln halten, sonst wird die Reise zu einem Wagnis – gerade wenn zwei kleine Kinder mit dabei sind.

Wer längere Zeit an der Garden-Route Südafrikas unterwegs ist, vergisst irgendwann, dass er in Afrika ist. Zumindest ging es mir so. Während der neunwöchigen Rundreise innerhalb meiner Elternzeit mit meinen beiden Söhnen Theo (bald 4) und Benno (fast 1) und meiner Frau Sonja fielen die zehn Tage am berühmten Streckenabschnitt der Nationalstraße 2 wie Urlaub in Europa oder den USA aus. Die touristische Infrastruktur ist perfekt, überall gibt es Shops und Tankstellen, die Attraktionen, die man „unbedingt gesehen und erlebt haben muss“ reihen sich wie eine Perlenschnur entlang der Route auf.

Alles ist garantiert sorgen- und stressfrei. Weil man auch irgendwann den krassen Gegensatz zwischen arm und reich, zwischen Township mit einfachsten Bretterverschlägen auf der einen und Luxus-Herbergen der Sonderklasse auf der anderen Seite der Straße – wie etwa in Plettenberg Bay, dem Blankenese der Garden-Route – als gegeben hinnimmt. Etwas ungemütlicher soll es in der Hauptsaison (Dezember und Januar) werden, wurde uns erzählt, weil dann ganz Südafrika hier einfällt, um Ferien zu machen.

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Hier geht es lang: Theo (bald 4) während einer Bootsfahrt auf der Lagune von Knysna an der Garden-Route.

Die Verlockungen der Garden-Route sind riesig. Und natürlich wollten wir uns ihnen nicht entziehen, auch wenn ich anfangs skeptisch war, etwa einen Park voller Affen („Monkeyland“) oder die weltgrößte Voliere mit über 3.000 Vögeln („Birds of Eden“) zu besuchen. Doch diese privat finanzierten Projekte sind alles andere als gewöhnliche Zoos für eine spezifische Tierart. Es sind „Sanctuaries“, also quasi „Waisenhäuser für Tiere“. Die Einrichtungen erhalten ihre Tiere von überforderten Besitzern, denen eine Affenbande im wahrsten Sinne des Wortes irgendwann über den Kopf wächst oder die dann doch überrascht sind, wie alt so manch plappernder Papagei werden kann. Es sind also ehemalige Haustiere, die in „Monkeyland“ oder „Birds of Eden“ ihren Lebensabend verbringen.

In den riesigen Parks sind jeweils nur bestimmte Teile zu begehen, in die Ruhezonen können sich die Tiere jederzeit zurückziehen, wenn sie keine Lust auf Besucher haben. Durchs „Affenland“ darf nur mit einem Führer gegangenen werden. Wir waren mit der Deutschen Jördis unterwegs, die gerade ihr Abi gemacht hatte und nun mit Affen arbeitet. Die Affen erlebt man wie in freier Wildbahn. Sie sind in keine Gehege eingepfercht, sondern huschen über die Wege, schwingen sich von Ast zu Ast und treffen sich zum Essen an einem der Futterplätze. Theo war hellauf begeistert – auch wenn er kein Äffchen streicheln durfte. Respekt flössten ihm die Brüllaffen ein, die – wie Jördis erzählte – die lautesten Landtiere überhaupt sind. „Sind die auch lauter als Löwen?“, wollte Theo wissen. „Viel lauter!

Wenn die einmal loslegen, kann man sie bis zu zehn Kilometer weit hören.“ Theo bleib der Mund offen stehen. Und er wich schnell einen Schritt zurück vom Brüllaffen, der vor ihm auf dem Weg in der Sonne döste. Benno ruckelte in der Kraxe auf meinem Rücken ständig hin und her, jeden Affen, den er erspähte, teilte er mit einem aufgeregten „Da-da-da“ mit und zeigte mit dem Finger drauf. Auch wenn uns beim abschließenden Mittagessen im „Monkeyland“ eine Tupperdose mit frischer Papaya von einem flinken Kapuzineraffen geklaut wurde: Es ist ein bemerkenswerter Park, den man sich mit Kindern unbedingt ansehen sollte.

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Kann verdammt laut werden: verschlafener Brüllaffe im „Monkeyland“.

Das gilt auch für „Birds of Eden“ (liegt direkt gegenüber), allerdings ist es hier schwieriger, Tiere aus nächster Nähe zu beobachten. Die meisten Vögel sind einfach zu scheu. Und die meisten Kinder haben natürlich keine Geduld, sich eine Stunde auf eine Bank zu setzen, um schweigend zu beobachten, welche Vögel nun vorbeigeflattert kommen. Dennoch: Auch diese netzüberspannte (!) Anlage ist wunderbar angelegt und ermöglicht tiefe Einblicke in Afrikas Vogelwelt. Krönender Abschluss war ein sprechender grüner Edelpapagei, den ich mir länger anguckte, um ein Foto zu machen, als er mich plötzlich fragte: „Hi, how are you?“

Mir wäre fast die Kamera aus der Hand gefallen. Dann pirschte er sich auf seinem Ast näher zu mir, brabbelte auf englisch los, sang Lieder, pfiff und krächzte zwischendurch immer wieder „Hi, how are you?“ Theo konnte es nicht glauben. „Warum kann der sprechen? Warum?“, fragte er in fünf Minuten bestimmt 50-mal. Inzwischen schaute ihn sich auch Sonja aus nächster Nähe an, als plötzlich ein anderer Vogel mit Höllentempo an ihrem Kopf vorbeischoss. Sonja erschrak sich – und wurde vom Papagei ausgelacht. Kein Witz!

Er fing höhnisch an zu lachen, richtig laut. Fehlte nur noch, dass er sich mit seinem Flügel auf seine Krallen haute. Aber dann schwieg er. Sein rotes Weibchen gesellte sich zu ihm und die beiden schnäbelten heftig. „Und warum kann der Papagei jetzt sprechen, Papa?“, löcherte mich Theo noch Tage lang. Es war eine Begegnung, die er nicht so schnell vergessen wird.

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Suchte das Gespräch: Edelpapagei im „Birds of Eden“.

Genauso wie einige Tage später das Treffen mit einer Elefantenherde. Wir waren mittlerweile im Addo Elephantpark angekommen (nördlich von Port Elizabeth) und hatten die Garden-Route verlassen. Im „Addo“ ist man mit seinem eigenen Wagen auf Safari unterwegs, was in Südafrika selten geworden ist. Neben Elefanten kann man Nashörner, Büffel, Löwen und Leoparden sehen – die „Big Five“ also. Weil der Park mittlerweile bis ans Meer reicht und dort auch marine Einrichtungen unterhält, sind theoretisch sogar die „Big Seven“ möglich, inklusive Wal und weißem Hai. Wir beschränkten uns auf Elefanten und hatten gleich am ersten Abend Glück: Eine Herde von etwa 20 Tieren lief in der tief stehenden Sonne über eine Wiese, um unsere Straße zu kreuzen.

Es war ein Schauspiel: Vier Meter hohe Bullen mit heftigen Stoßzähnen trotteten in aller Ruhe über die Straße, gefolgt von kleineren Kühen, die auf noch etwas unsicher tapsende Elefantenbabies Acht gaben. Bei den Anblicken vergaßen wir die Zeit. Und wären fast zu spät zum Tor vom Camp gekommen, das pünktlich um 18.30 schließt. Als die Kinder später schliefen (Theo: „Heute Nacht werde ich von kleinen Elefanten träumen, bei denen alles so witzig gewackelt hat beim Laufen“) und wir von unserer Terrasse aus den wunderbaren Blick auf ein dezent beleuchtetes Wasserloch schweifen ließen, kroch das Fieber in mir hoch.

Ich hatte es schon tagsüber befürchtet, dass etwas im Anmarsch ist, wollte es aber mit einer Ibuprofen-Tablette einfach ignorieren. Es half nichts: Als die Tablette nachließ, hatte ich Fieber, mir tat plötzlich alles weh und ein bleierner Schleier legte sich über meine Augen. Mist! Warum gerade jetzt? Ich ging früh ins Bett, schwitzte die ganze Nach durch – und war am nächsten Morgen richtig krank.

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Stau: Elefanten halten im „Addo Elephantpark“ den Verkehr auf.

Auf keinen Fall wollte ich aber den zweiten Tag im „Addo“ im Bett verbringen. Und mit Ibuprofen überstand ich den Tag irgendwie. Dennoch lief er komplett anders als geplant: Bei Sonja hatte sich eine Zecke am Bauch festgebissen, die sofort entfernt werden musste. Wir hatten keine Zeckenzange, fragten an der Rezeption vom Park nach, aber dort wusste auch niemand weiter. Nach 90 Minuten nervender Fragerei und Warterei bekam Sonja schließlich die Wegbeschreibung zu einem Arzt, der die Zecke entfernen sollte. Sie klang harmlos: „Aus dem Park raus, erste Kreuzung rechts ab nach Kirkwood, hinter der nächsten Kreuzung dann das blaue Haus auf der rechten Seite“. Es war aber kein Katzensprung – gut, vielleicht für südafrikanische Verhältnisse, nicht aber für unsere. 45 Kilometer waren es, bis wir vor der Praxis standen, wo Sonja schnell geholfen wurde. Danach ging es 45 Kilometer wieder zurück.

Spätestens auf der Rückfahrt bekamen wir es mit der Angst zu tun. Ein paar Tage zuvor, als wir an der Garden-Route Netty, eine entfernte Bekannte meiner Schwiegereltern besuchten, die sich mit Mann und Kind für ein Aussteigerleben auf ihrer eigenen Farm entschieden hat, hörten wir erstmals vom südafrikanischen Zeckenfieber (kleiner Tipp: besser NICHT googeln …). Nettys Mann Clinton hatte es erwischt und er war immer noch schwer gezeichnet von den Nachwirkungen. Eine bestimmte Zeckenart Südafrikas überträgt den Erreger, der mitunter tödlich sein kann. Wer an dem Zeckenfieber erkrankt, muss in jeden Fall mehrere Tage ins Krankenhaus. War Sonjas Zecke nun ein Überträger des Erregers?

Wir wussten es nicht. Und der Arzt auch nicht. Er entließ Sonja lapidar mit der Aussage: „Wenn sie in sieben bis zehn Tagen starke Kopfschmerzen und hohes Fieber bekommen, sollten sie besser ein Krankenhaus aufsuchen.“ Rosige Aussichten waren das, weil wir die nächsten Wochen die „Transkei“ bereisen wollten, wo eine medizinische Versorgung nur in den beiden größeren Städten gewährleistet ist – wenn überhaupt. Und am Abend, als meine Tabletten nachließen, stieg mein Fieber wieder an.

Es wurde eine unruhige Nacht. In meinen fiebrigen Träumen ging ich irgendwann davon aus, dass ich Ebola hätte. Oder mindestens Malaria. Oder eben das Zeckenfieber. Die Zecke hatte ich nur noch nicht gefunden an meinem Körper. Natürlich war das alles Schwachsinn: Ich hatte ein schwere fiebrige Erkältung mit einem heftigen Husten. Damit musste ich nun am nächsten Tag unsere längste Etappe bewältigen: die 500 Kilometer nach Mazeppa Bay an der Wild-Coast.

Dann los, zurück auf der N2 passierten wir nach knapp 400 Kilometern den großen Kei-River und waren dann in der „Transkei“, einem ehemaligen Homeland, das bis 1994 von Südafrika mehr oder weniger eigenständig war, international aber nie als eigener Staat anerkannt wurde. Das „Land jenseits des Kei“ gehört seit dem Ende der Apartheid 1994 wieder zu Südafrika – wie alle anderen Homelands auch. Die stolzen Stämme der Xhosa leben hier. Sie leisteten im 18. und 19. Jahrhundert erbitterten Widerstand gegen die nach neuem Ackerland gierenden Briten, die sich von der Kapregion immer weiter Richtung Osten ausbreiteten.

Es gab rund um das Gebiet der heutigen Transkei viele blutige Schlachten und die Xhosa bewahrten ihren Ruf als unbeugsames Volk, auch wenn sie letztlich – nach den insgesamt neun (!) so genannten „Grenzkriegen“ – unterjocht wurden. Seit der Wiedereingliederung in den südafrikanischen Staat wird die Küste des Transkei im verniedlichenden Tourismus-Jargon als „Wild Coast“ angepriesen. Für echte Naturfreaks eben, schon klar. Kaum Wörter von der bewegenden Geschichte der Region. An den einsamen, in der Regel schwer zugänglichen Buchten gibt es die einzigen brauchbaren Hotels, von denen wir uns eins zum Ausspannen ausgesucht hatten.

Die Transkei gilt als ärmste und strukturschwächste Region Südafrikas. Deswegen (und aufgrund der Historie im Kampf gegen die Weißen) haben Touristen lange Zeit einen Bogen um sie gemacht und Umwege von bis zu 2.000 Kilometer in Kauf genommen. Auch heute noch gibt es abstruse Geschichten: Überfälle mit zerschossenen Autos, Entführungen, Vergewaltigungen – das alles soll hier häufiger vorkommen als anderswo in Südafrika. Der Zulauf für den Populisten Julius Malema soll gerade hier äußerst hoch sein.

Malema führte die Jugendbewegung der Nelson Mandela-Partei ANC an, wurde aber wegen etlicher Entgleisungen aus der Partei geworfen (und wegen öffentlicher Kritik am derzeitigen ANC-Präsidenten Jacob Zuma). Er hetzt gegen die weiße Minderheit Südafrikas, bringt damit vor allem mittellose Schwarze hinter sich und wurde mit seiner eigenen Partei („Economic Freedom Fighters“) bei den letzten Wahlen im Mai 2014 drittstärkste Kraft im Land. Einer von vielen Tipps, die wir vor dem Trip in die Transkei erhielten: Sprecht lieber ältere Schwarze an, die Jüngeren reagieren schnell aggressiv auf Weiße.

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Unterwegs in der „Transkei“: Versprengte Xhosa-Häuser auf dem Weg zur Wild-Coast.

In Butterworth, der ersten größeren Stadt in der Transkei an der N2, mussten wir neue Ibuprofen-Tabletten kaufen, ich hatte keine mehr. Wir rollten langsam in die Stadt – und mit einem Schlag merkten wir: Jetzt sind wir wirklich in Afrika, und zwar mittendrin. Die Straßen waren voll mit Menschen und Müll. Durch die Luft schwang ein Mix aus Gehupe und Geschrei. Wir schauten uns um, wurden langsamer und merkten, wie wir die Blicke auf uns zogen: anscheinend waren wir die einzigen Weißen weit und breit. Ich bog in eine Seitenstraße ab. Ein Müllsammler blaffte mich an, als ich seinen riesigen Müllsack streifte. Plötzlich waren überall Kinder und einige finster dreinblickende Kollegen.

„Ich will hier weg, dreh um“, sagte Sonja energisch. Ich bog noch einmal ab, die Straße war verstopft. Ich blieb stehen. Da öffnete sich kurz vor mir ein Fenster, ganz langsam, heraus kam ein Daumen, der auf mich zeigte. Ich erschrak. „Scheiße, Hinterhalt!“, schoss es mir in den Kopf. Aber dann bewegte sich der Daumen vor und zurück. Jetzt verstand ich. Zurückfahren, ich sollte zurückfahren. Nasser Schweiß klebte an meinem Hemd, ich setzte langsam zurück, die Menschentraube um unser Auto wurde immer dichter. Dann konnte ich endlich Gas geben, hielt auf die Hauptstraße zu – und weg waren wir aus Butterworth. Ohne neue Tabletten.

„Die wollten uns dort nicht“, war sich Sonja sicher. Kurz hatte ich die Befürchtung, dass uns hier vielleicht niemand willkommen heißen mag, aber das behielt ich lieber für mich. Von unserem Hotel hatten wir eine knappe Wegbeschreibung bekommen. Der N2 bis zum Schild „Mazeppa Bay“ folgen, dort rechts abbiegen und 60 Kilometer auf einer schlechten Schotterpiste bis zum Hotel fahren. Wir dachten uns: Das geht auch einfacher, wenn man vorher noch eine 30 Kilometer lange geteerte Straße bis zum Ort Kentani runterbrettert und von dort dann nur knapp 40 Kilometer Schotterpiste bis Mazeppa zu bewältigen hat. Aber in Kentani fanden wir den Weg nicht. Ich ging in die Polizeistation, erbat Hilfe.

Der freundliche Polizist war jedoch nicht dazu in der Lage, mir den Weg zu beschreiben. Jedes Mal, wenn ich nachfragte, sagte er mir etwas anderes als vorher. Ich bat ihn, die Route aufzuzeichnen. Aber auch das brachte nichts. Zurück im Auto versuchte ich, seinen Ausführungen zu folgen, was aber schon beim ersten angeblichen Abzweig misslang. Es war jetzt kurz vor 15.30. Gegen 19 Uhr wurde es dunkel. Vom Fahren im Dunkeln durch die Transkei wurde uns mehrmals entschieden abgeraten. Was also tun? Uns blieb nur ein Wahl: Zurück zur Hauptstraße und der offiziellen Beschreibung vom Hotel folgen.

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Unterwegs in der „Aufreger des Tages: Eine Kuh am Strand vor dem Hotel!

Um kurz nach 16 Uhr fanden wir den richtigen Abzweig von der N2. Jetzt wird alles gut. Dachten wir. Aber dann begann die Schotterpiste, die eigentlich noch nicht einmal diese Bezeichnung verdient hatte. Es war eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern, dicken Felsbrocken, tiefen Furchen und Geröllpassagen, die mit unserem Toyota Mini-Van kaum zu bewältigen war. Und dann ließ auch noch die Wirkung meiner letzten Tablette nach, das Fieber stieg wieder an. Wir holperten, rutschten und schlidderten über die Piste. Irgendwann schrie Benno nur noch, er wollte einfach nicht mehr im Auto sitzen. Sonja verfluchte sich, dass sie unbedingt dieses Hotel gebucht hatte und Theo orakelte schicksalsergeben: „Wir kommen heute bestimmt nie mehr an.“

Es war mittlerweile eine Horrorfahrt. Unser Navi hatte längst kapituliert, unser Kartenmaterial war zu schlecht. Es wurde später, es kamen einige Abzweigungen, bei denen wir nie so richtig wussten, ob wir korrekt abgebogen waren, weil es keine Hinweisschilder gab. Wir „durchfuhren“ eine riesige bäuerliche Streusiedlung. Auf den sattgrünen Wiesen, die wir vom Auto aus sahen, standen buntgefärbte Rundbauten des Xhosa. Die Landschaft sah aus, als hätte jemand vom Himmel grüne, pinke, gelbe, rote und blaue Kreise mit Dächern herunter regnen lassen, so willkürlich waren die Häuser hier angeordnet.

Es gab keine Zäune, keine Begrenzungen, keine Schilder, kein Licht. Am Straßenrand tauchten wie aus dem Nichts Ziegen, Kühe oder Schafe auf. Wenn wir nicht so angespannt gewesen wären, hätte man die Route genießen können. Aber dazu waren wir nicht mehr in der Lage. Immerhin registrierten wir noch, dass die Menschen nun freundlicher wurden je weiter wir uns von der Hauptstraße entfernten. Sie grüßten uns, zeigten mit dem Daumen nach oben oder hupten uns an, wenn mal ein anderes Auto auf der Piste unterwegs war.

Es wurde langsam dunkel, die Schatten der Bäume verlängerten sich zusehends. Ich merkte wie unruhig Sonja wurde. Ständig guckte sie auf die Uhr, zupfte an ihrem Kleid. Ich schaute auf den Kilometerstand. Wir hatten jetzt ziemlich genau 60 Kilometer nach über zwei Stunden auf dieser Piste, an dessen Ende angeblich unser Strandhotel liegen sollte, hinter uns gebracht. Aber noch nicht einmal die Küste war zu sehen. „Verdammt“, dachte ich, versuchte aber ruhig zu bleiben. Es ging auf 18.30 zu. „Wir müssen die Nacht im Auto verbringen“, war sich Sonja plötzlich sicher.

Ihr stand jetzt die Panik deutlich ins Gesicht geschrieben. Dann endlich konnte ich zumindest das Meer sehen. Langsam polterten wir durch ein Waldstück, an dessen Ende ein Haus stand. „Hoffentlich sind wir hier richtig, hoffentlich“, betete Sonja. Das Haus war nicht unser Hotel, das war schnell klar. „Ich befürchte Allerschlimmstes“, ahnte Sonja. Ich fuhr ein paar Meter weiter – dann kam die Erlösung: Wir standen vor dem Ortsschild von Mazeppa Bay und links die Straße runter lag unser Hotel. Was für eine Erleichterung. „Wir haben es geschafft“, jubelten wir.

Noch nie hatte mich eine Autofahrt so fertig gemacht. Als ich ausstieg, zitterten meine Beine und Arme. Ich nahm Benno aus seinem Sitz, er strahlte mich an. Seine gute Laune war wieder da. Wir bekamen ein geräumiges Familienzimmer mit Blick aufs Meer und einen Tennisplatz. Verrückt! Das wäre hier so ziemlich der allerletzte Ort gewesen, an dem ich einen Court vermutet hätte. Um 19 Uhr gab es Essen. Das Restaurant war voll mit Fischern aus dem Großraum Johannesburg. Die Wild-Coast gilt als Südafrikas Anglerparadies. Die Jungs hatten heute ihren letzten Abend. Sie feierten kräftig. Auch wenn ich alles andere als fit war: Zumindest ein Bier musste ich mir jetzt gönnen. Gott, was tat das gut!

Einer der Angler hatte heute einen Riesenfang am Haken gehabt: einen 240 Kilo schweren Hai. „Wo habt ihr den gefischt?“, fragte Sonja. „Na ja, direkt hier beim Hotel an der Küste“, sagte der beschwipste Angler. Ich sah, wie sich bei Sonja ein dickes Fragezeichen im Gesicht bildete: Und hier soll ich meine Kinder zum Baden mit ins Meer nehmen? Der Angler suchte das Gespräch. Aus Deutschland seien wir also, tatsächlich. Wow, und so lange in Südafrika unterwegs. „Aber wie zum Teufel seid ihr mit zwei kleinen Kindern in diesem gottverlassenen Ort gelandet?“, wollte er schließlich wissen.

Tja, hätten wir vorher gewusst, wie mies die Straße zum Hotel ist, wären wir hier wohl niemals gelandet. Aber das antwortete Sonja nicht. „Wir wollten ein ruhigen Ort zum Ausspannen“, sagte sie. Der Angler nickte. Und sagte zum Abschied: „Also mit zwei kleinen Kindern so eine Reise, Respekt. Das würde ich nicht machen.“ Warum? „Zu gefährlich.“ Todmüde fielen wir ins Bett. Ich hatte Albträume. Von der Fahrt zurück über die Schotterpiste.

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Zimmerausblick: Theo und Benno (fast 1) schauen auf die unberührte Küste von Mazeppa Bay.

Wir machten fünf Tage lang nichts. Klar, die Kinder machten natürlich etwas. Wir schlossen uns ihnen aber einfach nur an, beobachteten sie, halfen ihnen. Ich konnte so wunderbar meine fiebrige Erkältung auskurieren und passte mich dem Schlafrhythmus von Benno an. Wenn er wach war, konnte ich ihn zumindest mit halber Kraft betreuen. Sonja und Theo unternahmen Touren mit einem „Local Guide“ an der Küste, wir lernten andere Gäste kennen, ich versuchte mich in die Taktiken des Cricketsports hineinzufuchsen, der hier im Gemeinschafts-Fernsehraum hoch und runter gezeigt wurde, und Theo schloss Freundschaft mit dem südafrikanischen Jungen Zeth, drei Jahre alt, aus East-London.

Auch wenn die Sprachbarriere hoch war: Die beiden verstanden sich prächtig und stellten eine Menge dummes Zeug an. Es war eine Wohltat, nicht mehr den Druck der Garden-Route zu spüren, sich jetzt irgendetwas Tolles angucken zu müssen. Man kann auch einfach mal drei Stunden Angler an einem Steilfelsen beobachten. Wir hatten – trotz der Dinge, die man mit zwei Kindern einfach erledigen muss – unsere Ruhe. Die Tage wurden von den Mahlzeiten strukturiert. Frühstück um acht, Mittag um eins, Abendessen um sieben. Kurz zuvor ging eine Kellnerin mit einer Glocke übers Hotelgelände und erinnerte jeden daran, dass es nun Zeit zum Essen war.

Ich lernte James kennen, der Jeeps in der Region vertreibt und erzählte ihm unsere „Reise-Story“. Er gab mir seine Karte. „Hi, wenn ihr hier an der Wild-Coast irgendwo stecken bleibt, ruf mich einfach an. Ich habe in jedem Ort meine Jungs, die holen euch überall raus.“ Alles klar, James! Greta, die Großmutter von Theos neuem Freund Zeth, bot uns ihr Gästezimmer in East-London an. „Also, wenn ihr auf dem Rückweg von der Wild-Coast nach Kapstadt seid und nicht so recht vorankommt: Bei uns sind immer vier Betten für euch frei.“

Ein Mechaniker, der auf Montur in Mazeppa Bay war, hatte von unserem nächsten Reiseziel gehört; wir wollten die Wild-Coast trotz allem noch weiter entdecken und weiter Richtung Osten fahren. „Hör mal, in Mthatha unbedingt die Fenster hoch, Türen von innen verriegeln und nirgends anhalten. Und bloß nicht in der Stadt tanken sondern außerhalb.“ Mthatha ist die Hauptstadt der Transkei und für unser nächstes Ziel mussten wir dort durch die Innenstadt.

Als wir wieder abreisen mussten, ging es uns allen besser. Die Kinder profitierten vom festen Essens- und Schlafrhythmus der letzten Tage, der sonst auf Reisen ja oft zu kurz kommt, ich hatte meine Erkältung mehr oder weniger überwunden, aber das Allerwichtigste: Sonja wies keine Symptome des südafrikanischen Zeckenfiebers auf. Wir waren unsere größten Sorgen wieder los. Blieb nur noch die Schotterpiste für den Rückweg. Aber dieses Mal hatten wir Glück. Auf halber Strecke überholten wir riesige Straßenbau-Fahrzeuge. Sie hatten den vorderen Teil der Route während der letzten Tage komplett überarbeitet und eingeebnet. Alle Löcher und Furchen waren weg – was für ein Geschenk!

Hier sind alle 5 Teile der Story „Südafrika zu Viert„.

Text & Fotos © Tim Böseler

Tim Böseler
Tim Böseler
Tim ist ein alter Tennis-Kollege aus Hamburg und Vater von zwei Kindern. Auch beruflich ist die Filzkugel sein Metier: Als Redakteur des tennis magazins schreibt er über Asse, Saiten, Lops und Vorhand Cross.

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