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Kolumne: Sechserpäckchen +1 – „Valentin mit F“

Alle Kinder lernen lesen, früher oder später. Aktuell ist Valentin dran, und er tut das nicht ohne längeren Atem und Entschlossenheit. Der Anfangsbuchstabe eines Esels zum Beispiel ist ein E, was leichter gesagt als geschrieben ist. Die vorschulische Existenz eines kleinen Jungen hat noch viel Sympathien für Analphabetismus. Da sind Buchstaben noch vor allem das, was für einen Mann das Leben einer Frau ist: fremdartig, ein nahezu geschlossenes Dickicht, von rätselhafter Anmutung. Und die Buchstaben stellen sich ja auch nicht irgendwann einfach mal so vor und lösen sofort große Begeisterung aus. Im Gegenteil, die wollen richtiggehend erarbeitet werden. Die sind widerspenstig und können furchtbar feindselig sein, wenn man sie nicht mit offenen Armen empfängt. Also mit aufgeklappten Hirnhälften. Da hinein sollen sie nämlich möglichst alle marschieren, zügig und eng umschlungen, in kleinen oder auch größeren Gruppen. Und dem lieben Valentin möge ihr quirliges, ihr ständig die Anordnung wechselndes Stelldichein gefallen. Auf dass er einer Leseratte immer ähnlicher werde und ihrem Buchstabenhunger in nichts nachstehe. Bücher genug gibt es jedenfalls, auch solche für Kinder. Darunter welche über Erfinder, Superhelden und Astronauten. Für die nämlich stand Lesenlernen ebenfalls schon immer an erster Stelle, vor allem bei den Superhelden. Nicht das ich die jetzt alle der imposanten Reihe nach aufzählen könnte, aber vereinfachen wir doch die ganze Sache und fangen bei mir an…

Valentin hab` ich erst gar nicht einzureden versucht, ein Bad in einer Buchstabensuppe würde wahre Wunder bewirken. Irgendwann in meinen frühen Knirpsjahren hab` ich wohl selbst mal daran geglaubt, dass sich manche Dinge auf eine vermeintlich naheliegende Art regeln lassen. Man kennt das ja auch aus der Politik: Steht zum Beispiel das Thema hohe Mieten auf der Tagesordnung, liegt die Lösung für viele darin, auf die Bremse zu treten. Weil eine Wohnung ja ein Rennwagen ist und der Vermieter Formel-1-Pilot. Also einfach mal nur ruhig Blut und rein mit dem schier unkontrollierbaren Ding in die nächstgelegene Vertragswerkstatt der Bundesregierung. Und ja, dort werden sie geholfen: Bremsbeläge erneuern, und zwar mit möglichst viel nutzlosem Gesetzestext.

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Kulturtechniken sind aber auch was für gewiefte Bastler. So sitzt Valentin Minute um Minute vor geheimnisvollen Zeichen, die angeblich Wörter, ja ganze Sätze erzeugen sollen. Und hantiert dabei mit allerlei imaginärem Werkzeug im Kopf herum, das dort an Lauten schraubt und da eine Endung abzwackt. Bestimmt will er ganz schnell lesen lernen, schon weil überall Bücher herumstehen, aus denen ihm bisher immer nur vorgelesen wurde. Vorlesen ist schon auch toll, aber mal angenommen, die Vorleserin oder der Vorleser verschweigen ihm Wörter, Sätze oder komplette Absätze. Vielleicht unterstellt Valentin das ja wirklich manchmal, auch wenn er mir das gegenüber noch nicht geäußert hat. Und schätzt manche Geschichten so ein, das sie in Wahrheit gar nicht gut ausgehen, sondern böse. Oder dass sie irgendwo zwischendrin eine Überraschung bereithalten, denen ich als Erwachsener nachsagen will, dass ein Siebenjähriger die noch gar nicht verstehen kann. Dass zum Beispiel in einer Geschichte über Piraten auf hoher See aus dem Nichts ein Angriff beflossener Dinosaurier erfolgt. Weil dieses skrupellose Seeräuberpack angeblich mit brennenden Kometen statt stumpfer Kanonenkugeln geschossen hätte und deshalb der Untergang sämtlicher Riesenechsen unmittelbar bevorstünde. So eine ungeheuerliche Verdrehung historischer Tatsachen kann natürlich kein Erstklässler nachvollziehen. Dazu müsste er ja zunächst Kenntnis davon haben, dass die Dinosaurier gar nicht ausgestorben sind, sondern sich beleidigt in Höhlen auf dem Mond zurückgezogen haben, weil freie Wohnungen auf dem Mars damals schon Mangelware waren. Erfundene ebenso wie wahre Geschichten stecken voller dramatischer Wendungen, und dem Valentin wird all das womöglich vorenthalten. Um aber ganz sicher zu gehen, hilft das selbstständige Lesen. Und es hilft ihm zu entdecken, welches enorme Potential die Sprache bereithält, wenn man sich nur allen Ernstes auf sie einlässt. Die mit kleinen Buchstaben beginnt, um so viel Großes bereitzuhalten. Sogar Superhelden, sofern man sich in ihre Abenteuer Wort für Wort mit hineinstürzen mag. Oder die Raumschiffe von Astronauten. Die hat es nämlich schon auch gebraucht, um die Dinos auf den Mond zu bringen. Oder so. Valentin kommt bestimmt bald dahinter: D, i und o stehen bereits vor den offenen Hirntoren…

Fotos: © Pixabay

Michael Ibach
Michael Ibach
Michael Ibach ist freier Journalist und Autor; als Autor/Ghostwriter arbeitet er seit über 15 Jahren für diverse Bühnenkünstler aus Deutschland und der Schweiz (Comedians, Kabarettisten, Bauchredner, Zauberer, Moderatoren, etc.). Kolumnen wie diese wurden bereits in verschiedenen Familien-Magazinen publiziert, u. a. in "Mamamia", "KidsLife", "Kids&Co.", "BIO-Magazin" und zuletzt im Chiemgauer Regionalmagazin "Servus Achental". Mit seiner Familie lebt er seit etwa 10 Jahren am bayerischen Alpenrand, seit 2012 im Chiemgau.

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