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Kolumne: Sechserpäckchen +1 – „Ma wie Mampf“

Das Mampf geht um. Um es präziser zu sagen: Es geht in Oskars Kopf herum, sobald der Hunger kein Randphänomen mehr bleiben will. Zugegeben: Oskar benutzt noch zahlreiche sprachliche Abkürzungen. Deswegen heißt Mampf bei ihm einfach nur Ma. Ma! Mit etwas sprachlichem Geschick ließe sich daraus auch eine Mama konstruieren, aber darum geht es Oskar nicht. Provozierend oft sagt er sogar Papa, obwohl er die Mama meint und dabei auf sie zeigt. Fair ist das nicht. Und schließlich bin ich ja nicht zwei Elternteile in Personalunion, auch wenn das hinsichtlich mancher Entscheidungen ganz sicher die leichtere Übung wäre. Kinder brauchen ja unbedingt Orientierung. Aber nur einer Königin oder einem König der Herzen folgen zu dürfen oder gar zu müssen, ist kein Akt der Demokratie. Menschlich ist es aber nachvollziehbar. Kinder sind nämlich schnell überfordert, wenn sie auf vielleicht sogar sich widersprechende Aussagen reagieren müssen. So kann ich Oskar zum Beispiel nicht 5 Kartoffeln zum Spielen versprechen, während er glaubt, seine Mama hätte ihm mindestens 20 versprochen. Wobei es in diesem Fall Oskar eigentlich schnurzpiepegal sein kann, ist ihm das Zählen doch noch gar nicht gegeben. Wenn es dann aber soweit ist, wird er wohl höchstens bis 3 zählen wollen, um ein fertiges Mampf mindestens zu erschnuppern.

Mit nackten Füßen vor dem offenen Gefrierschrank zu sitzen, halte ich Anfang Mai für verfrüht. Oskar hat es dennoch gewagt, was auf der einen Seite ein recht lustiges Bild abgab, auf der anderen unnötigen Stromverbrauch signalisiert. Bestimmt hat Oskar schon mitgekriegt, dass Mampf auch tiefgekühlt eine gute Figur abgibt, vor allem als Eis. Auch hier scheint ihm eine Abkürzung definitiv angebracht, also sagt er Ei. Das ist mitunter verwirrend, weil er nämlich sehr genau weiß, was ein Ei ist. Und weil ihm auch schon das Gackern einer Henne stimmlich einigermaßen gelingt, muss ihm einfach klar sein, wo ungefähr der Unterschied zwischen Gelegtem und Gefrorenen liegt. Aber Eis ist natürlich viel zu verlockend, als dass es nicht auch eine irreführende Abkürzung täte, um ans eigentliche Ziel zu gelangen. Und dem Ma(mpf) entscheidend nahezukommen, dafür legt sich Oskar auf recht unterschiedlichen Wegen ins Zeug.

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Einmal gelangte er in den Besitz einer Pralinenschachtel, leider leer. Wiederholt legte er mit einigem Nachdruck den rechten Mittelfinger in die einzelnen Fächer, um dem ärgerlichen Leerstand seinen entschiedenen Widerstand anzukündigen. Weil wir seinem rebellischen Geist an dieser Stelle nicht folgen wollten, langte Oskar ganz tief in die Trotzkopfkiste und machte kurzerhand reinen Tisch. Was er für gewöhnlich übersetzt mit: „Ihr großen und kleinen Tische, zeigt her, was auf euch draufsteht. Und ich liefere euch den eindrucksvollen Beweis dafür, dass nix, aber auch gar nix auf irgendwelchen blöden Tischen rumstehen muss!“ Es kam also, wie es gewissermaßen kommen musste. Und mir wurde erneut klar, warum ich weder eine echte chinesische Vase auf einem Kinderküchenherd abstellen würde noch ein simples Glas Wasser irgendwo an den Rändern unseres großen Esstisches. Erschütternd, was die leerste Pralinenschachtel der Welt in manchen Kinderköpfen anzurichten vermag…

Um Durststrecken auf der langen Fahrt ins vermutlich große Glück eines vollen Magens abzufedern, hat es sich Oskar zur Aufgabe gemacht, in Gefäße hineinzuriechen. Hierfür stehen mehrere Dosen, zumeist aus Blech oder Kunststoff, bereit. Aufgefüllt bis zur Mitte, manchmal auch bis zum Anschlag, sind die mit Kaffee, Kakao, Müsli oder Reis. Diese zumeist sehr kurzzeitigen kulinarischen Schnupperpraktika scheinen von einigem Erfolg gekrönt, beendet er diese doch jeweils mit einem hochzufriedenen Gesichtsausdruck. Die Dose mit dem Reis schüttelt er zudem gerne ordentlich durch. Ein Geräusch scheint dabei zu entstehen, dass direkt der verheißungsvollen Welt des Ma! entstammt. Eine Welt, in die er sich jeden Tag selbst entführt, um auf Nöte aufmerksam machen zu können, die knapp Zweijährige nun mal furchtbar umtreibt. Und insbesondere dann zu Schnappatmung bei ihnen führt, wenn diese Nöte nicht auf Anhieb verstanden werden. Ihrer Ansicht nach manchmal auch gar nicht verstanden werden wollen! Welch kulturgeschichtlicher Fortschritt deshalb, dass sich Abkürzungen wie Ma! in unseren ansonsten ignoranten Breitengraden durchgesetzt haben. Damit weiß Oskar, was er will, und ich weiß, was ich besser nicht ignorieren sollte. Tue ich es nämlich doch einmal, dann… dann passieren so Sachen wie nicht gebuchte Rundflüge von Gegenständen aller Art um kleine und große Tische. Und Schuld daran ist wer, na? Richtig, das Mampf. Besser, das Fehlen desselben. Also des Ma! Ein kleines Kind braucht nämlich unbedingt Abkürzungen. Am liebsten sind mir ja die zum Herzen: Ein freches Augenzwinkern oder eine charmante Gesangseinlage. So gesehen, bleibt Oskar besser nie auf dem eigentlich vorgesehenen Weg. Von dem ich jetzt aber auch gerade nicht weiß, wie der eigentlich aussieht…

Fotos: oben © Fotolia (Olga) // unten © Pixabay (ponce_photography)

Michael Ibach
Michael Ibach
Michael Ibach ist freier Journalist und Autor; als Autor/Ghostwriter arbeitet er seit über 15 Jahren für diverse Bühnenkünstler aus Deutschland und der Schweiz (Comedians, Kabarettisten, Bauchredner, Zauberer, Moderatoren, etc.). Kolumnen wie diese wurden bereits in verschiedenen Familien-Magazinen publiziert, u. a. in "Mamamia", "KidsLife", "Kids&Co.", "BIO-Magazin" und zuletzt im Chiemgauer Regionalmagazin "Servus Achental". Mit seiner Familie lebt er seit etwa 10 Jahren am bayerischen Alpenrand, seit 2012 im Chiemgau.

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