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Kolumne: Sechserpäckchen +1 – „Du sollst nicht verstecken“

Nach exakt acht Wochen hat uns Gauthier wieder verlassen. Abgeholt wurde er von seinen Eltern an einem Sonntagvormittag, einem herrlich sonnigen noch dazu. So konnten wir alle zusammen seine letzten zwei Stunden bei uns draußen verbringen, Deutsche und Franzosen vereint an einem großen Tisch, bei reichlich Speis und Trank. Neu kennenlernen durften wir Gauthiers große Schwester, die ein einigermaßen gutes Deutsch sprach und davon auch wiederholt Gebrauch machte. Auch wenn nicht ganz so regelmäßig, wie bei uns neuerdings die Handys resp. Smartphones aus dem Licht in eine ungewisse Dunkelheit überführt werden. Was in etwa so viel heißt, dass offenbar infolge diffuser Vergeltungsgefühle das mobile Telefon des ins Visier geratenen Bruders außer Gefecht gesetzt wird. Konkret: Es verschwindet, einfach so. Und bleibt zumeist über Tage unauffindbar. Zuletzt haben wir uns auf die Suche nach dem von Leopold gemacht. Das Fundbüro unseres Heimatortes haben wir dabei nicht angerufen. Aber erstens brauchen wir nicht noch einen Regenschirm, und zweitens hätte ich im dem Fall am liebsten das Verschwinden eines größeren Geldbetrages gemeldet. Jedenfalls passiert manchmal genau das, wenn dem Ruf nach Ersatz eines verschollen bleibenden Mobiltelefons der Ersatz tatsächlich folgt.

Das von Leopold befand sich in unserer alten Holztruhe. Die haben wir schon ziemlich lang, und wäre das Gegenteil der Fall gewesen, wären durchaus echte Piraten als Handydiebe in Betracht gekommen. Weil ich aber im Geschichtsunterricht aufgepasst habe, weiß ich bis heute, dass deren Gier Gold und Schmuck und Münzen galt. Nicht aber Kommunikationsdingens, auf die zu ihrer Zeit nicht einmal die Henker ihrer Majestät gekommen wären, um WhatsApp-Gruppen rund ums Thema Aufknüpfen zu betreiben. Oder Bilder auf Instagram zu posten, die sie nach getaner Arbeit zeigen. Also am Galgen stehend, mit einem Schild in der freien Hand, auf dem die freundliche Unterstützung britischer Strickproduzenten hervorgehoben wird…

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Es ist ja nicht so, dass die Nachteile überwiegen, wenn eines der insgesamt vier Smartphones vorübergehend stillgelegt ist. Schwierig genug, den Überblick zu behalten, was auf welchem Display gerade rauf und runter läuft. Kürzlich erst hatte der Jakob den Leander sogar im Verdacht, erotische Momentaufnahmen abgespeichert zu haben, noch dazu unter einem ziemlich irreführenden Dateinamen. Angeblich hieß der „Familienfotos“, was aber verdammt weit hergeholt klingt, weil sexuelle Aufklärung aktuell vor allem im Biologie-Unterricht von Max stattfindet. Aber klar, dass ein Handy mit womöglich eindeutigen Verheißungen zu viel Neid erzeugt, als dass es bei seinem eigentlichen Besitzer verbleiben dürfte. Hier aber waren sämtliche Schutzmaßnahmen Leanders erfolgreich, so dass auf den nächsten Entführungsfall spekuliert werden musste. Und der ließ gar nicht mal lange auf sich warten. Betroffen diesmal: Das von Jakob. Was meiner Ansicht nach im ersten Moment nicht auszuschließen war: Das Handy hatte plötzlich Form, Farbe und Geruch eines Wiener Schnitzels angenommen. Jakob war demnach in erheblichen Zugzwang, dieses ekelhafte Ding schleunigst wieder loszuwerden. Kann sein, dass es so war. Gut möglich aber auch, dass in der Vorstellung von Max das Handy von Jakob zu einem Fußball mutierte, der getreten werden wollte. Und dabei eine Flugbahn einschlug, die selbst Nachbargalaxien der Milchstraße weit hinter sich ließ.

Diese modernen Smartphones sind aber auch so flach und leicht, die lassen sich fast überall verstecken. Was sich eben bis in unsere Familie herumgesprochen hat und seitdem dazu führt, dass sie herhalten müssen für diverse Anflüge von Groll auf jeweils andere Geschwister. Mein Vorschlag wäre ja, ein derartiges Verhalten ausschließlich an Ostern zu zeigen, weil es dann Nester gibt, die sich längst an diese rüpelhafte Form vorübergehender Entsorgung gewöhnt haben. Alternativ an Weihnachten, weil da der Neid traditionell stark ausgeprägt ist, Handys also nicht unsichtbar werden müssten, weil es dafür ja Geschenke gibt ab einem Marktwert von angeblich Tausend Euro aufwärts. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass keiner meiner echt liebenswerten Vorschläge Beachtung finden wird. Es ist halt mächtig unkompliziert, ein versehentlich irgendwo liegengelassenes Kommunikationsdingens heimlich mitzunehmen und unheimlich geschickt zu verstecken. Also die Idee mit der alten Holztruhe fand ich persönlich ja bisher am überzeugendsten. Jakob sein eingebildetes Schnitzel nämlich tauchte innerhalb von Minuten nach allgemeiner Strafandrohung einfach so unter dem Tablet von Max wieder auf, abgelegt in einem Bücherregal. Eine eher langweilig choreographierte Wiederkehr also, von der sich besser niemand etwas abschaut. Und ist zudem total unglaubwürdig, weil sie voraussetzt, dass einer der Jungs seinen Coup ernsthaft geplant hat. Und niemals damit rechnen musste, dafür auch noch von seinen Eltern gemaßregelt zu werden. Dass Pubertät aber auch so viele Gegenspieler hat, und die nirgends ein geeignetes Versteck finden…

Fotos: oben © Pixabay // unten © Pexels

Michael Ibach
Michael Ibach
Michael Ibach ist freier Journalist und Autor; als Autor/Ghostwriter arbeitet er seit über 15 Jahren für diverse Bühnenkünstler aus Deutschland und der Schweiz (Comedians, Kabarettisten, Bauchredner, Zauberer, Moderatoren, etc.). Kolumnen wie diese wurden bereits in verschiedenen Familien-Magazinen publiziert, u. a. in "Mamamia", "KidsLife", "Kids&Co.", "BIO-Magazin" und zuletzt im Chiemgauer Regionalmagazin "Servus Achental". Mit seiner Familie lebt er seit etwa 10 Jahren am bayerischen Alpenrand, seit 2012 im Chiemgau.

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