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Exklusiv aus Men’s Health Dad – Eine Tochter zieht Bilanz

In den Himmel gehoben. Oder alles versuchen, damit sie auf dem Boden bleibt. Egal, zu was ein Vater tendiert, er prägt damit seine Tochter viel mehr, als er oftmals annimmt, so neueste Erkenntnisse. Autorin Linda Babst zieht Bilanz nach rund 30 Jahren als Papas Perle.

Seit mindestens 15 Jahren trage ich ein Foto meines Vaters in meinem Portemonnaie. Es zeigt einen Mann im karierten Hemd, der versucht, eine Bierflasche mit den Zähnen zu öffnen und dabei grimmig in die Kamera schaut. Ganz der raue Typ, der auf Konventionen scheißt. Einer, der nicht redet, sondern macht. Eine Mischung aus Bud Spencer und Crocodile Dundee. Ja, ich glaube, das trifft’s ziemlich gut. Es ist die einzige Fotografie, die ich immer bei mir trage. Nie hat es das Bild eines anderen geschafft, sich vor ihn zu schieben. Warum das so ist, habe ich erst Jahre später begriffen. Aber ich will von vorn beginnen.

Als ich meinem Vater erzählte, dass ich eine Geschichte über ihn schreibe, hat er gebrummt: „Lass den Quatsch.“ Wahrscheinlich war er der Ansicht, meine Mutter sei dafür wesentlich besser geeignet. Immerhin waren sie und ich von Beginn an Verbündete. Und das ist sicher keine Seltenheit, wenn man in einer Familie mit klassischer Rollenverteilung aufwächst. Vater geht arbeiten, Mutter kümmert sich um die Kinder. Bei mir war es so, und lange habe ich gedacht, dass es ausschließlich meine Mutter war, die mich geprägt und aufs Leben vorbereitet hat.

Schließlich war sie diejenige, die mich in den Kindergarten brachte, Vokabeln abfragte, meinen Liebeskummer tröstete. Ich war lange der Ansicht, das Einzige, was ich von meinem Vater mit auf den Weg bekommen habe, seien die dunklen Augen und die Sommersprossen auf den Schultern. Heute weiß ich: Ich lag falsch. Mein Vater hat von Beginn an alles beeinflusst. Wäre er ein anderer — ich wäre es garantiert auch.

„Den Grunddialog mit dem männlichen Geschlecht lernen Frauen nicht mit der Mutter, sondern in der Beziehung mit dem Vater“, erklärt mir die Psychotherapeutin und Buchautorin Julia Onken („Vatermänner“, C. H. Beck, um 10 Euro) aus Romanshorn. Die Schweizerin, die bereits mehrere Bücher zum Thema Vater-­Tochter-Beziehung geschrieben hat, geht sogar noch weiter: Die Tochter spiele die Rolle, die ihr der Vater auf den Leib schreibe. Ich bin verwirrt. So viel Macht soll gerade der Mann über mich gehabt haben, der mich nie fragte, wie es in der Schule lief oder woher meine blutige Schramme am Knie stammte?

Mein Vater gehört zu denjenigen, die kaum mehr sprechen, als zwischen Abendbrot und „Tagesschau“ gerade nötig ist, und der Gefühlskram dankbar der Mutter überlässt. Und das war völlig okay für mich. Fakt ist, er hat schon 4-mal meinen Kleiderschrank auf seinem Rücken durch irgendwelche Treppenhäuser in irgendwelchen Städten geschleppt, in denen ich wohnte, aber er hat mich nie gefragt, wie ich mich fühle. Für Trost, Lob, Anerkennung war meine Mutter zuständig. Mein Vater war der Haudegen, der stille Profi.

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Die Rolle des Vaters für die Tochter ist insofern eine besondere, weil er der erste Mann in ihrem Leben ist. Während sich die Forschung lange auf die ­Mutter stürzte, um Rückschlüsse auf Partnerwahl, Karrierechancen oder Persönlichkeitsentwicklung von Kindern zu ziehen, rückte in den vergangenen Jahren zunehmend der Vater in den Fokus. Die Erkenntnis: Schenkt der Vater seiner Tochter Aufmerksamkeit und zeigt er ehrliche Anerkennung, fällt es dieser weitaus leichter, selbstbewusst und gefestigt durchs Leben zu gehen. Anders gesagt: Eine Frau, die sich der Liebe und des Respekts durch den eigenen Vater bewusst ist, hat es später nicht nötig, anderen Männern um jeden Preis gefallen zu müssen und sich zu verbiegen, um sich geliebt zu fühlen. ­

Seine Aufmerksamkeit ist für sie so elementar, dass sogar einige Wissenschaftler davon ausgehen, dass Frauen, die sich vergeblich nach Liebe vom Vater sehnen, häufiger drogenabhängig werden, sich schneller auf riskante Bettgeschichten einlassen oder Gefahr laufen, von einem miesen Typen zum nächsten zu stolpern. Aber kann die Anerkennung einer ganz besonders aufmerksamen Mutter den abwesenden Vater nicht irgendwie ausbügeln? „Nein“, sagt Psychotherapeutin Onken, „denn die Tochter braucht die Bestätigung gerade vom gegengeschlechtlichen Part, um zu verstehen: So wie ich bin, bin ich richtig. Auch in den Augen der Männerwelt.“

Was geschieht also, wenn die Aufmerksamkeit durch den Vater ausbleibt? Laut Onken hat die Tochter 3 Möglichkeiten, um vom Vater wahrgenommen zu werden: Entweder sie wird zur Gefall-, zur Leistungs- oder zur Trotz-Tochter. Was aber ist mit dem anderen Extrem? Väter, die ihre Töchter so sehr verhätscheln, dass es einem ganz übel wird bei so viel Prinzessinnengehabe? Unweigerlich muss ich an Freundinnen denken, die von klein auf damit angaben, „Papas Liebling“ zu sein und heute beleidigt reagieren, wenn man ihnen nicht überall den roten Teppich ausrollt.

Habe ich sie früher beneidet? Hätte ich tauschen wollen? Meinen coolen Haudegen gegen den Prinzessinnen-Overkill? Nie. „Grundsätzlich kann ein Vater nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Problematisch wird es nur, wenn er dies an Bedingungen knüpft“, sagt Onken. Heißt: Ein Vater sollte in jedem Fall Interesse zeigen — ganz egal, ob er sich mit der Thematik wirklich identifizieren kann oder nicht.

Ich habe nie mit Puppen gespielt, dafür fuhr ich meinen Wellensittich auf einem Monstertruck durch die Wohnung. Mein Vater fand das super, denn für ihn war es wesentlich angenehmer, mit seiner Tochter das Playmobil-Piratenschiff zu bauen, als Barbies zu frisieren. Habe ich das für ihn getan, oder war ich aus freien Stücken lieber Pippi Langstrumpf statt Prinzessin? An Karneval verkleidete ich mich als Pirat oder Indianer. Nie hätte man mich in ein Kleid stecken dürfen. Alles Mädchenhafte war mir zuwider. Ich entwickelte eine ausgesprochene Begeisterung für Werner-Comics und Mike-Krüger-Lieder, mein liebstes Kleidungsstück war ein Blaumann mit aufgenähtem Elektroblitz — wie der meines Vaters.

Zum Dank nahm er mich mit, wenn er Küchen anschließen oder Leitungen verlegen sollte. Ich ging noch zur Grundschule, als er mir auf einer Baustelle zurief „Hol mal die Wasserpumpenzange aus dem Auto!“ und ich wenig später mit der Wasserpumpenzange vor ihm stand. Die Typen auf dem Bau waren beeindruckt und mein Vater stolz wie Oskar. Mir wurde ziemlich schnell klar: Eine Eins in Deutsch konnte meinen Vater nie so glücklich machen wie eine Tochter, die die Reifen ihres Autos selbst wechselte. „Wenn du den Motorradführerschein machst, fliegen wir in die Staaten und fahren die Route 66 ab“, sagte er mal. Ich fand die Idee großartig.

Als sich herauskristallisierte, dass meine Begabung mehr im Schreiben lag als darin, Stromkreise zu zeichnen oder zu verstehen, was einen Otto- von einem Dieselmotor unterscheidet, veränderte sich unsere Beziehung. Ich wollte studieren, raus aus unserem Kaff. Die Route 66 geriet in Vergessenheit. Ich muss meinem Vater plötzlich ziemlich fremd vorgekommen sein, wenn ich in den Semesterferien nach Hause kam. Einmal sagte er zu mir: „Komm mir bloß nicht mit einem Philosophiestudenten an. Ein richtiger Mann hat Hornhaut an den Händen.“ Wir haben darüber gelacht, obwohl wir beide wussten, dass es sein Ernst war.

Die These, dass man seinen Partner nach dem Vater aussucht, habe ich lange für Blödsinn gehalten. Die Männer, die sich über kurz oder lang in meinem Leben tummelten, waren alles, nur nicht wie mein Vater. Sie konnten meine Steuererklärung machen und Klavier spielen — aber keiner konnte den Auspuff meines Autos mit einer alten, aufgeschnittenen Coladose reparieren. Und genau das war ihr Manko. „Die Vaterbeziehung prägt die späteren Liebesbeziehungen von Frauen, bestimmt ihren gesamten Lebensweg“, sagt die Hamburger Psychologin Dr. Sigrid Steinbrecher.

Die Psychologin schildert in ihrem Buch „Die Vaterfalle“ (rororo, um 10 Euro), wie viel Macht ein Vater über die Gefühle seiner Tochter hat, und erklärt, dass beispielsweise Töchter, die zeitlebens um die Aufmerksamkeit ihrer Väter buhlten, meist in Partnerschaften landen, in denen sie ebenfalls permanent um Anerkennung kämpfen müssen.

Kurz vor meinem 30. Geburtstag ging meine Beziehung in die Brüche. „Was erwartest du von einem Mann?“, fragte eine Freundin. Ich sagte, ich wolle keinen Schwätzer, sondern einen Macher. Einen, der Kleiderschränke auf dem Rücken tragen und auf den ich mich zu 100 Prozent verlassen kann. Die Erkenntnis kam spät, aber sie kam.
Während meine Mutter die Hände über dem Kopf zusammenschlug und mich fragte, wie ich das verkraften wolle, sagte mein Vater nichts. 4 Wochen später schenkte er mir zum Geburtstag einen Werkzeugkoffer samt Schlagbohrer und hängte wortlos die Lampen in meiner neuen Wohnung auf. Er hat nie nach den Gründen für die Trennung gefragt, mein Verhalten bewertet oder versucht, mich zu trösten.

Er wusste, das war der Job meiner Mutter. Aber er hat mir etwas viel Wichtigeres gegeben: die Gewissheit, dass er davon überzeugt ist, dass ich mein Leben auf die Reihe kriege. Dass ich absolut in Ordnung bin, so wie ich bin und so wie ich sein will; nur für mich, nicht für ihn. Dass er stolz ist und dass er für mich da ist. Immer. Er wusste das und hat den Werkzeugkoffer sprechen lassen. Es war das beste Geburtstagsgeschenk, das er mir machen konnte.

Letztes Jahr habe ich den Motorradführerschein gemacht. Als ich meine Prüfung bestanden hatte, schickte mein Vater mir eine SMS. „Bin stolz auf dich, Lindi.“ Es war das erste Mal, dass ich diesen Satz von ihm hörte. Wir haben unsere erste Tour geplant. B54 statt Route 66. Großartige Idee — nach wie vor.

Fotos: oben © Men’s Health Dad // unten © Fotolia (Saklakova)

Linda Babst
Linda Babst
Für Autorin Linda Babst war Papa immer der coolste Mann der Welt. Als sich im Teeniealter ihr Nasenringloch ent­zündete, ließ sie niemanden an ihren Zinken, außer ihn. Der zog den ­Metallring in seiner Werkstatt mit einem Seitenschneider aus dem Nasenflügel. Ob sie ihm jemals diesen Artikel zum Lesen gibt? „Vielleicht mal in einer ruhigen Minute bei einer Flasche Bölkstoff.“

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